Das folgende Interview mit Sissiko Cheik Ouma, Vorsitzender der Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI), erschien im Dezember 2012 in der „Fraternité“, der Zeitung der algerischen Arbeiterpartei (PT). Auch wenn das Interview mit Sissiko Cheik Oumar aus dem letzten Jahr stammt, ist seine Aktualität ungebrochen. Nicht nur, dass der Krieg in Mali auf unabsehbare Zeit anhält. Am 11. Februar wurde Oumar Mariko, Generalsekretär und ehem. Präsidentschaftskandidat der SADI, von bewaffneten Regierungstruppen ohne Angabe von Gründen oder eines Zielortes mitgenommen und zwei Tage festgehalten.
Wir lehnen die Intervention in Mali und deren Unterstützung durch die Regierung Merkel ab! Wir verurteilen die Entführung politisch unliebsamer Gegner!
Hinter dem Marsch in den Krieg stecken „kolossale Interessen“
»Fraternité«: Können Sie uns, angesichts der Gefahr einer militärischen Intervention die sich gegen Mali einen Überblick über die letzten politischen Entwicklungen geben?
Sissiko Cheik Oumar: Lassen Sie mich meine Hochachtung für Ihre Partei, die Arbeiterpartei (PT), und Ihre Nation zum Ausdruck bringen, die vor einem halben Jahrhundert in harten Kämpfen und zum Preis von vielen Opfern ihre Unabhängigkeit erobert hat.
In mehreren westlichen Hauptstädten sind heute Szenarios im Gange, um die Kosten der Krise des Kapitalismus auf die Völker abzuwälzen.
In dieser Hinsicht ist Libyen das erste Opfer, und wahrscheinlich sollte Algerien folgen; doch zum Glück für Ihr Land konnte dieses Katastrophenszenario soeben noch vermieden werden. Die Mobilisierung zu allererst durch Ihrer Partei und die Positionen der algerischen Regierung gegen den Krieg haben diese Gefahr zurzeit abgewendet.
Leider ist Mali ein direktes Opfer der Nato-Intervention in Libyen. So hat sofort nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes ein Konvoi schwerbewaffneter Männer die große Wüste, die eigentlich von amerikanischen Satelliten überwacht wird, unbemerkt von der Welt durchquert. Als Eroberer sind sie im Norden Malis eingedrungen.
Die schnelle Niederlage der regulären Armee von Mali erklärt sich einerseits durch ihre schlechte Ausrüstung, und andererseits durch die logistische Überlegenheit der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die ihr Arsenal in Libyen aufgestockt haben.
Die chaotische aktuelle Situation wird von den Regierungen der Großmächte ausgenutzt, um gefügige Persönlichkeiten, die eine Politik im ausländischen Interesse betreiben, an die Spitze des Staates Mali zu setzen. Der von den Militärs am 12. Dezember abgesetzte Ministerpräsident wollte die ausländische Militärintervention beschleunigen. Deshalb haben die Einwohner von Mali nicht auf seine Absetzung reagiert.
Wir wollen einen Dialog zwischen allen zivilen Kräften in Mali, um die aktuelle Situation zu überwinden.
Die territoriale Unversehrtheit und die Nichteinmischung des Auslands sind die zwei Hauptpunkte, die die Einwohner von Mali einen müssen.
Wahlen ohne die Bewältigung der aktuellen Probleme sind keine Lösung. Es war übrigens der Wille des Ex-Präsidenten Amadou Toumani Touré, eine dritte Amtszeit anzustreben während das Land auseinander bricht (laut Verfassung sind nur zwei Amtszeiten möglich), die das Militär am 22. März veranlasst hat, ihn abzusetzen.
Seitdem haben sich die Ereignisse v.a. durch die Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawed (MNLA) beschleunigt. Diese Bewegung, die politisch und finanziell von Frankreich unterstützt wird, hat die Unabhängigkeit von Nord-Mali proklamiert, d.h. die Teilung Malis. Die westlichen Länder manipulieren und agieren für die Zersplitterung unseres Landes und der gesamten Sahelzone.
Die Vervielfachung terroristischer Gruppen, sowie aller Arten des Schwarzhandels und Drogenschmuggels sind die Hauptaktivitäten in Nord-Mali. Das ist eine Folge der Verträge von 1994, die eine symbolische militärische Präsenz im Norden vorsahen. Dieses organisierte Chaos wird heute genutzt, um den Marsch in den Krieg zu rechtfertigen.
In den Medien verschwiegen werden die kolossalen und strategischen Interessen in dieser großen Region von Mali. Erdöl, Uran, enorme Grundwasservorräte, landwirtschaftliche Flächen… all das begehren die multinationalen Konzerne aus Frankreich, Katar, USA…
Nicht zu vergessen der Flughafen von Tassalit (nahe Kidal), den die Amerikaner und Franzosen in eine große Militärbasis für die Überwachung und Kontrolle der gesamten Sahelzone, des Mittelmeers und Roten Meers verwandeln wollen. Das wäre eine Militärbasis, die große Militärflugzeuge aufnehmen könnte und die außerdem unerreichbar und unangreifbar wäre, weil sie mitten in der Wüste liegt.
Man muss auch die äußerst schädliche Rolle von Katar betonen, das verschiedene islamistische Banden finanziert und bewaffnet. Dieses Land handelt klar als Helfershelfer der Politik des Imperialismus in Afrika und im Nahen Osten.
Die humanitären Hilfslieferungen werden direkt von den Geberländern verwaltet, und die Behörden wissen nicht, was tatsächlich verteilt wird. Es gibt den berechtigten Verdacht, dass über Kisten, die angeblich Lebensmittel enthalten, Waffen verteilt werden.
Wie in Libyen berichten inoffizielle Informationen von heimlichen Verträgen zwischen den Konzernen und Katar für die Aufteilung der Ölvorkommen in Nord-Mali.
Im Gegensatz zu dem, was die Medien glauben machen wollen, hat sich das malische Volk mehrfach massiv gegen den Krieg mobilisiert und lehnt es ab, dass die Cédéao (Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten, d. Üb.), die unter französischem Einfluss steht, die nationale Souveränität angreift. (…) Es war die Mobilisierung des Volkes, die die Ankunft von Alassane Ouattara in Bamako verhindert hat, der bei der Einsetzung einer „legitimen“ Regierung helfen wollte, um die ausländische militärische Intervention zu rechtfertigen.
»Fraternité«: Was ist Ihrer Meinung nach die Lösung?
Sissiko Cheik Oumar: Weil alle Länder der Region von den aktuellen Entwicklungen betroffen sind, muss die Solidarität zwischen den Völkern zum Ausdruck kommen, und die politischen und gewerkschaftlichen Kräfte der Länder der Region müssen versuchen, ihre Anstrengungen zu vereinen, um bei der Organisierung der Verteidigung unserer jeweiligen Länder zu helfen.
»Fraternité«: Es entsteht die Notwendigkeit, eine 2. Sitzung der Dringlichkeitskonferenz gegen die Besetzungskriege und Plünderung durchzuführen. Was ist Ihre Meinung darüber?
Sissiko Cheik Oumar: Unsere Reise nach Algier, um ausschließlich PT-Vertreter zu treffen, gehört zu der Suche nach Mitteln, um den Krieg gegen mein Land zu verhindern. Zur Rettung der Nationen und um den Völkern, Arbeitnehmern und Jugendlichen zu ermöglichen, von den Reichtümern ihrer jeweiligen Länder zu leben, müssen wir uns gegenseitig helfen.
Aus allen diesen Erwägungen heraus wird die Partei SADI ihre gesamte Energie in die Vorbereitung dieser 2. Sitzung der Dringlichkeitskonferenz, an der wir im Dezember 2011 teilgenommen haben, stecken.
Wir werden sie mit den Gewerkschaften meines Landes vorbereiten und unsere Partner vom Bündnis der afrikanischen Linksparteien (ALNEF) über diese Initiative informieren, um eine große Beteiligung zu erreichen, die im Kampf gegen den Krieg wichtig ist.
Das Gespräch führte R.Y.T.