PALÄSTINA | Stopp der Bombardierungen! Aufhebung der Blockade von Gaza!

Interview mit Louisa Hanoune, Generalsekretärin der Arbeiterpartei (PT) Algeriens

Frage: Welche letzten Entwicklungen gibt es in Gaza?

Louisa Hanoune: Kein einziger Waffenstillstand wurde eingehalten. Jedes Mal war es die israelische Regierung, die ihn mit massiven Bombardierungen gebrochen hat. Wir haben mittels der Medien den Vorteil, täglich die Realität der Fakten zu erfahren. Die palästinensischen Sender verbreiten fortlaufende direkte Informationen über die Massaker und Zerstörungen.

Es gibt kein Wasser und keinen Strom. Die Krankenhäuser sind teilweise von Bomben verwüstet, sind ohne Mittel und überfüllt. Gaza ist vollständig isoliert. Das ist ein wahres Getto. Ob von israelischer Seite oder von Ägypten aus, denn der Grenzübergang Rafah (von ägyptischer Seite) ist geschlossen. Das zeigt eine klare Absicht, alle Einwohner von Gaza zu vernichten. Aber nicht nur sie: Im Westjordanland hat es Tote gegeben, mehr als 20 unter den Demonstranten, die für die Solidarität mit ihren Brüdern in Gaza auf die Straße gegangen sind.

Aber das ist nicht lediglich eine weitere Aggression. Es ist etwas Neues im Herzen der palästinensischen Bevölkerung aufgetaucht, ein neues Bewusstsein, das heißt: Es gibt nie mehr ein Zurück. Das Fernsehen berichtet täglich über die Meinungsäußerungen der Bevölkerung. Ein Familienvater, der seine ganze Familie verloren hat, sitzt auf den Trümmern seines Hauses und wendet sich an die ganze Welt: „Wir sind bereit, unseren letzten Blutstropfen zu opfern, doch wir wollen nie mehr eingesperrt leben, in Angst vor den israelischen Bomben und im völligen Elend.“ Darin zeigt sich, dass die palästinensische Revolution sich wieder belebt.

Männer und Frauen suchen nach ihren Häusern, doch sie finden sie nicht wieder. Sie liegen in Schutt und Asche. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Dutzende Familien wurden vollständig ausgelöscht.

Die palästinensische Bevölkerung wendet sich täglich mittels des Fernsehens an die ganze Welt und begrüßt die internationale Mobilisierung in Europa, Asien und ganz Amerika. Es gibt nicht die Zensur wie in Frankreich. Ich finde das Schweigen der französischen Medien und ihre Desinformation erschreckend.

Diese Situation ist neu, weil nicht nur Gaza Widerstand leistet und kämpft, sondern ganz Palästina, alle Gebiete Palästinas. Die Palästinenser sagen: „Die ‘Verträge‘, die Verhandlungen… haben keinen Sinn mehr. Jedesmal haben wir ein wenig mehr verloren. Wir wollen in Freiheit und Menschenwürde leben, wir wollen unseren ganzen Grund und Boden zurück. Wir wollen das Recht der Völker, in Frieden zu leben.“

Seit 1993 und den Osloer Verträgen wurde die zentrale Frage des Rechts auf Rückkehr der sechs Millionen Flüchtlinge erstickt. Ich habe gesehen, dass sie heute mit aller Macht wieder aufgetaucht ist! Nicht nur bei den Flüchtlingen in den Lagern im Libanon, in den Solidaritätsdemonstrationen in Jordanien, wo 80% der Bevölkerung aus Palästinensern besteht, sondern auch in den besetzten Gebieten selbst, in Gaza. „Wir gehen nirgendwo hin! Wir weigern uns, wegzugehen, man hat uns 1947 und 1948 vertrieben, man hat uns 1967 verjagt, wir gehen nirgendwo hin. Hier ist unser Land, hier werden wir sterben, auch wenn sie uns alle töten, rühren wir uns nicht vom Fleck.“ In Westjordanland, in den Grenzen von 1948 (Staat Israel) und in allen Flüchtlingslagern taucht diese Frage in den Demonstrationen wieder auf. Das palästinensische Volk mit allen seinen Bestandteilen ist zusammengeschweißt wie seit langem nicht mehr, von Gaza über Westjordanland bis zu den Grenzen von 1948. Es hat in den Grenzen von 1948 angefangen, als der 16-Jährige Jugendliche ermordet wurde. In Nazareth gibt es täglich Zusammenstöße mit der israelischen Polizei. Es gibt diese außerordentliche Einheit mit den palästinensischen Flüchtlingen.

Frage: Du hältst also diese Entwicklungen für eine neue Etappe?

Hanoune: Zunächst geschieht diese Aggression in einem Moment der großen Krise des Kapitalismus, sie hat die zionistische Barbarei bloßgelegt. Und man muss wissen, dass nach Angaben der palästinensischen Gewerkschaften 200.000 Arbeitsplätze vernichtet wurden, während bereits 73% der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in Gaza schon arbeitslos ist. Die Felder sind verwüstet, die Fischerei ausgelöscht.

Die Preise sind explodiert, um 40% bis 200%, während man bereits über die Lebensmittellieferungen verhandeln muss. Es gibt keine Mittel zum Überleben mehr. Das führt zu einem Bruchpunkt, zu einer radikalen Bewusstseinsänderung und somit zu einem anderen Kräfteverhältnis. Die israelische Armee tötet zwar, doch Israel hat nicht gewonnen, hat das palästinensische Volk und seine Revolution nicht besiegt.

Ganz im Gegenteil! Als die palästinensische Delegation zu den Verhandlungen in Kairo gereist ist, wandte sich die Bevölkerung an die Delegation: Wir werden kein einziges Zugeständnis akzeptieren. Das Mindeste ist für uns die Aufhebung der Blockade, die Öffnung des Flughafens und des Seehafens, ist der Stopp der Aggression und der Bombardierungen, das ist die Freiheit des Warentransports, der dringend gebrauchten Medikamente und des Materials für den Wiederaufbau…

Die palästinensische Frage war von den verräterischen arabischen Regimes der Region, den Hauptkomplizen der Tragödie von 1947, als Geisel genommen worden. Die Masken all dieser verräterischen arabischen Regimes, an der Spitze der ägyptische Präsident al-Sisi, sind gefallen.

Zum ersten Mal hat es in Ägypten keine Demonstrationen gegeben, obwohl das immer das erste Land gewesen ist, das sich für Palästina mobilisiert hat. Das liegt eine Bleihaube über der ägyptischen Gesellschaft. Katar und Saudi-Arabien sollen von der israelischen Regierung gefordert haben, den palästinensischen Widerstand zu zerschlagen! Selbst Abbas sah sich gedrängt, die Aufhebung der Blockade zu fordern und den Widerstand zu unterstützen, und die Hamas musste anerkennen, dass der Widerstand politisch pluralistisch ist. Natürlich gibt es die Hamas, die PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas, d.Red.) und weitere bewaffnete Fraktionen, und sogar die Fatah, die sich auf den Widerstand berufen, weil das Volk diesen unterstützt. Die Masken sind gefallen. Andere dachten, dass Iran sich mobilisieren werde, weil Iran immer die Position der Verteidigung Palästinas vertreten hat, doch nein, jetzt gibt es andere Überlegungen, die ausschlaggebend sind. Das verstärkt die Tatsache, dass der Widerstand nicht besiegt wurde. Es ist der palästinensische Widerstand, sicher mit einfachen Mitteln, der Volkswiderstand, die Entschlossenheit der Bewohner Gazas, zu bleiben, die die Lage verändert haben. Wir gehen nicht, im Gegenteil, die Flüchtlinge müssen heimkehren, sagen sie.

Die internationale Mobilisierung ist entscheidend. Es gab auch die Demonstrationen von israelischen Juden vor allem in Tel Aviv.

Alle palästinensischen Fernsehsender haben die Demonstrationen von israelischen Juden gezeigt. Wir werden von antizionistischen Juden unterstützt, sagen die Palästinenser. Der Aufruf der jüdischen Überlebenden der Nazi-KZ und ihrer Kinder, „Nicht in unserem Namen“, hat ein außerordentlich großes Echo in den palästinensischen Fernsehsendern gefunden. Sie feiern auch diejenigen lateinamerikanischen Regierungen, die ihre Botschafter zurückgerufen haben.

Frage: Wie sehen die Beziehungen zwischen Obama und dem Staat Israel aus?

Hanoune: In Wahrheit ist Israel vollkommen erschüttert. Wir haben gehört, wie Netanjahu sagte: Wir können nicht in Gaza einmarschieren, weil das den Tod von Tausenden Israelis verursachen würde und für uns eine Falle wäre. Dann sind sie zu weit gegangen, und Obama wurde nach der Bombardierung einer UN-Schule (Unruwa) gezwungen, das als „grauenhaft“ zu bezeichnen und zu intervenieren, um Israels Angriff zu bremsen. Dieser Vernichtungskrieg spitzt die internationale Krise, die Krise des Kapitalismus, zu. Obama wurde politisch erschüttert, Hollande, alle Imperialisten, die den hebräischen Staat unterstützen, wurden erschüttert, ihre Lakaien, die arabischen Regimes in der Region, sind völlig isoliert und in Panik.

In Algerien hat die Presse auf die Zusammenhänge zwischen den kollektiven Massakern an den Jesiden und Christen im Irak durch die ISIS-Milizen und den Bombardierungen Gazas mit Unterstützung von Obama, Hollande und anderen hingewiesen. Natürlich sind wir gegen die Massaker an den Jesiden und Christen. Doch was ist das für eine Politik, die das Massaker an den Gaza-Bewohnern erlaubt und gleichzeitig vorgibt, andere davor zu retten? Was bedeutet das? Hillary Clinton stellt in ihrem Buch dar, dass die ISIS-Milizen vom CIA geschaffen wurden. Sie hat ein Geständnis abgelegt: „Wir haben Al Kaida und die ISIS geschaffen.“ Die gesamte Region versinkt in der Barbarei, Libanon, Irak, Syrien. Obama hat eine Intervention in Irak und vielleicht in Syrien beschlossen. Die internationale Kampagne für Solidarität mit Gaza ist beispiellos. Es ist auch diese Kampagne, die Obama zu einer Änderung gezwungen hat, so dass er sich an Netanjahu wandte, nicht die UN-Schulen zu bombardieren, als ob alles andere möglich und akzeptabel sei.

Frage: Was tun?

Hanoune: Wir haben auf der Sommeruniversität der Arbeiterpartei (PT) im Juli, während die Aggression begann, gemeinsam mit dem algerischen Gewerkschaftsbund UGTA die Initiative für die Mobilisierung zur Verteidigung des palästinensischen Volkes und gegen die Bombardierungen ergriffen. Wir sind bei unserer Aktion von der Bewegung der Arbeiter und des Volkes ausgegangen. Die algerische Arbeiterklasse hat sich mobilisiert. Spontane Märsche und Kundgebungen haben hier und da ohne große Medienberichte stattgefunden. Die Arbeiter spenden einen Teil ihres Lohns für Gaza. In der ganzen Region hat der algerische Staat die klarste, eindeutigste Position zur palästinensischen Frage. Wir sind das einzige arabische Land, das keinerlei Beziehungen zu Israel unterhält. Der algerische Staat hat nie Israel anerkannt, niemals. Keine Handelsbeziehungen, keine diplomatischen Beziehungen. Das bietet uns Möglichkeiten. Der algerische Staat ist finanziell, materiell und politisch solidarisch. Er verurteilt entschieden die Bombardierungen und die Blockade.

An einem Tag der Mobilisierung, der vom UGTA und der PT organisiert wurde, haben alle Institutionen einschließlich der Regierung die Arbeit niedergelegt, genauso wie die Arbeiter und die einfache Bevölkerung. Obama und Al-Sisi sagen: ein Waffenstillstand ist nötig. Aber nötig ist der Stopp der israelischen Bombardierungen. Das palästinensische Volk wird von einer Kolonialmacht unterdrückt; jedes Volk in dieser Lage muss das Recht auf Selbstverteidigung haben. Und wir als Algerier wissen allerdings, was das bedeutet. Umso mehr als die Waffen, über die Israel mit der viertgrößten Armee der Welt verfügt, von den USA geliefert werden. Es ist deshalb wichtig, wenn man in den USA Losungen sieht wie „Nein zur Finanzhilfe“, denn der US-Kongress hat zusätzliche 225 Millionen Dollar Hilfe für die israelische Armee bewilligt. Es kommt auf die Arbeiterklasse an, die in dieser Situation ihr Gewicht in die Waagschale werfen muss und kann, um dem palästinensischen Volk zu helfen, die Kolonialmacht zu besiegen und seine historischen Rechte zurück zu erobern.

Wir haben die Möglichkeit, die Arbeiterklasse so breit wie möglich durch eine internationale Kampagne, die von Algier aus gestartet wird, mit den Volksschichten und der demokratischen Bewegung zu vereinen.

Der Generalsekretär des UGTA, Sidi-Said, hat sich mit einem Brief an das Internationale Arbeitsamt der ILO und den Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) gewandt, um sie zu Stellungnahmen aufzufordern. Anscheinend hat der IGB für die Aufhebung der Blockade von Gaza Stellung bezogen. Wir werden uns an alle Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen mit der Forderung der Aufhebung der Blockade und des Stopps der israelischen Bombardierungen wenden.