Aufruf: An unsere Kollegen, gewerkschaftliche und politische Arbeiterkämpfer, die in ganz Europa für die Verteidigung der existenziellen sozialen und politischen Errungenschaften der Arbeiterschaft kämpfen.

 

Auf der Arbeitnehmerkonferenz am 17. Juni in Berlin haben gewerkschaftliche und politische Kämpfer der Arbeiterbewegung in Deutschland über die Lehren aus dem Aufschwung der gewerkschaftlich organisierten Kämpfe gegen die Politik der Großen Koalition diskutiert. Diese Diskussion hat die nationalen Grenzen überschritten, um einen Beitrag für das Verständnis der Situation in ganz Europa zu leisten.

Die Diskussion nahm diese natürliche Entwicklung mit der Teilnahme von den zur Konferenz eingeladenen verantwortlichen Arbeiterkämpfern aus Frankreich und Polen, vor allem aus dem Gesundheitsbereich. Sie findet ihre Konsequenz in dem Brief, den die Teilnehmer gemeinsam an ihre Kollegen in ganz Europa schicken.

zum Download: Aufruf 20170617

An unsere Kollegen, gewerkschaftliche und politische Arbeiterkämpfer, die in ganz Europa für die Verteidigung der existenziellen sozialen und politischen Errungenschaften der Arbeiterschaft kämpfen.

Anlässlich des Treffens von deutschen, französischen und polnischen Arbeiterkämpfern, vor allem aus dem Gesundheitswesen und auf der Grundlage von Informationen aus Großbritannien, Spanien… kommen wir zu folgender Feststellung: Die aktuelle Zerstörungsoffensive z.B. gegen das Gesundheitswesen geht nicht aus von einer Reihe nationaler „Reformen“, sondern bedeutet eine vom Finanzkapital und seinen Helfershelfern diktierte allgemeine Offensive, die unter seiner Kontrolle in jedem Land durch unsere jeweiligen Regierungen und entsprechend der gegebenen nationalen Bedingungen umgesetzt wird.

Ob es sich, wie in Deutschland, um die „Schuldenbremse“ handelt, in deren Namen die Große Koalition die Krankenhäuser, Schulen und Kommunen kaputtspart oder, wie in Frankreich, um die „allgemeine Erhebung von Gebühren für alle öffentlichen Dienstleistungen“ (T2A), damit werden im Gesundheitswesen die Gebote der Wettbewerbsfähigkeit angewandt, die das Kapital der Industrie mit den bekannten zerstörerischen Auswirkungen aufzwingt. Und die polnischen Kollegen haben die ganze Brutalität des neoliberalen Kapitalismus nach der „Schocktherapie“ während der sogenannten Transformation des Systems seit 1990 erlebt. Die Vernichtung der Industrie, eine wilde Privatisierung, Deregulierung des Arbeitsrechts, Arbeitslosigkeit und das Fehlen von sozialer Sicherheit haben Polen in den Status der Peripherie zurückgeworfen.

Ohne zu übertreiben müssen wir von einer humanitären Katastrophe sprechen, die durch unsere jeweiligen Regierungen vorbereitet wird.

Hier steht das ganze Fundament von kollektiven Garantien und Arbeiterschutzrechten auf dem Spiel, welche die Arbeiterklasse in unseren Ländern in harten Kämpfen erobert hat. Das sind Schutzrechte, die jedem Arbeiter und jedem Rentner und ihren Familien beispielsweise das Recht auf qualifizierte Gesundheitsversorgung garantieren, das von ihren Ausbeutern nicht angetastet werden kann.

Hier steht die gesamte Sozialgesetzgebung auf dem Spiel, welche die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit in jedem Land regelt. Das beweist die Offensive gegen die sozialen Sicherungssysteme der solidarischen gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung durch und infolge der totalen Deregulierung der Arbeitsverhältnisse.

Größte Arbeiterkämpfe auf unserem alten europäischen Kontinent stehen bevor, von West bis Ost, von Nord bis Süd.

Sie lügen, wenn sie uns glauben machen wollen, dass der Kampf der französischen Arbeiter gegen die Zerstörung des Arbeitsrechts nach der Wahl von Macron gestorben sei.

Sie lügen, wenn sie uns glauben machen wollen, dass der Kampf der deutschen Arbeiter für die Aufhebung der Agenda 2010 von Schröder, für die Befreiung von der Schuldenbremse und für die Wiederintegration aller Arbeitnehmer in die Flächentarifverträge gestorben sei – weil die SPD-Führung und DGB-Spitze sie nicht unterstützen.

Und sie täuschen sich, wenn sie die polnischen Arbeiter erpressen wollen, auf ihren Kampf gegen die Privatisierungen, die Deregulierung und für die Verteidigung der Unabhängigkeit ihrer Gewerkschaften zu verzichten, in dem sie mit trügerischen „Korrekturen“ ihre Regierung als Vertretung der „kleinen Leute“ repräsentieren.

Während die einen mit der Warnung vor der rechtsextremen Gefahr die Einheit und Geschlossenheit hinter ihrer Politik zu erpressen versuchen, tun andere das mit einer rechtsnationalistischen, fremdenfeindlichen Demagogie. Alle setzen die Führungen der Arbeiterbewegung unter Druck, sich ihren „alternativlosen“ Maßnahmen und Anforderungen zu unterwerfen: und doch sind sie nicht dazu in der Lage, die Ablehnung und den Widerstand gegenüber ihrer kriminellen Politik durch Millionen und Abermillionen Menschen zu brechen.

Diese Ablehnung verbreitet sich in jeweils spezifischer Form in allen Ländern Europas: Frankreich, Deutschland, Polen, Spanien, Großbritannien … und prägt als vorherrschendes Merkmal die gesamte Situation.

Auf dem Ruinenfeld der alten Parteien, die sich noch auf die Arbeiterbewegung berufen und die mit ihrer Unterwerfung unter die Krisenanforderungen des Kapitals ihren Niedergang provoziert haben, entwickeln sich Differenzierungen und beginnt eine Regruppierung in Orientierung auf die authentischen Bestrebungen und Forderungen der arbeitenden Bevölkerung und Jugend.

So geht der Wahlerfolg eines Mélenchon in Frankreich auf die Tatsache zurück, dass eine breite Schicht von Kadern der Arbeiterbewegung den alten Parteien und deren leidigen „Linksbündnis“ den Rücken gekehrt hat. Sie konnten sich mit ihren Kampfbestrebungen in seiner Kandidatur für die bedingungslose Verteidigung der Arbeiterschutzrechte und der sozialen Sicherheitssysteme wiederfinden.

Die gleiche Bewegung kommt in dem Wahldurchbruch von Corbyn am 8. Juni in Großbritannien zum Ausdruck, der für ein Programm der Wiederverstaatlichung eintrat und für die Aufhebung der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze von Thatcher. Und ebenso in der massiven Stimmenmehrheit von Mitgliedern und Kämpfern der PSOE in Spanien für Pedro Sanchez als Generalsekretär der Partei, der jegliches Abkommen und Gemeinsamkeit mit der Regierung Rajoy zurückgewiesen hatte.

Wir verstehen uns als aktive Kraft in dieser Suche nach einer politischen Neuausrichtung und Umgestaltung der Arbeiterbewegung. Die gründet auf dem Kampf für die Verteidigung der Klassenunabhängigkeit der Gewerkschaftsorganisationen, für die entschiedene Verteidigung unserer sozialen und politischen Errungenschaften, die von der Arbeiterbewegung in der Zeit seit dem zweiten Weltkrieg erobert wurden.

In diesem Sinne beschließen wir, uns an alle Kämpfer der Arbeiterbewegung zu wenden, die wir in Europa erreichen können, und laden sie ein, den Diskussionsaustausch auszuweiten, den wir am 17. Juni in Berlin begonnen haben.

Wir sind davon überzeugt, dass ein Erfolg der französischen Arbeiter für die Verteidigung der Arbeitsgesetzgebung gegen Macron zu einem großartigen Stützpunkt würde für den Kampf der deutschen Arbeiter dafür, dass Schluss gemacht wird mit der Agenda-Politik von Schröder und allen Nachfolgern; für den Kampf der polnischen Arbeiter gegen Privatisierung, Arbeitsverträge außerhalb des Arbeitsrechts und für den Kampf um unabhängige Gewerkschaften; für den Kampf der spanischen Arbeiter für die Aufhebung der Gesetze zur Deregulierung der Arbeitsverhältnisse… und umgekehrt.

Es wird Zeit, dass wir uns als Kämpfer der Arbeiterbewegung aller Länder Europas enger zusammenschließen, um gemeinsam den Merkel, Macron und Szydło, den Rajoy, May, Renzi… und allen Verantwortlichen der EU in Brüssel zu sagen:

Ihr wagt es, eure Völker anzuklagen, wenn sie die zerstörerischen Maßnahmen ablehnen, die ihr gegen sie entschieden habt, in dem ihr euch in betrügerischer Weise auf die Anforderungen der „strukturellen Anpassung“ in der EU beruft.

Ihr wagt es, sie als nationalistisch und chauvinistisch anzuklagen, wenn sie die Diktate der Akteure der „Globalisierung“, der großen Finanzoligopole und Multinationalen Konzerne, ablehnen.

Ihr wagt es zu behaupten, für ein harmonisches Europa zu kämpfen, das seinen Völkern Frieden garantiert. Durch Deregulierung, durch die Zerstörung der politischen Rechte der Arbeiter, der Grundpfeiler der politischen Demokratie unserer Gesellschaften, seid ihr diejenigen, die die Saat des Krieges, des sozialen Krieges säen, die Drahtzieher chauvinistischer und rassistischer Kampagnen und die Totengräber der europäischen Zivilisation.

Während sie vorgeben, Trump gegenüber die Fahne des Europa der Zivilisation hoch zu halten, fordern die Merkel, Macron und Szydło, Juncker und Tusk, die europäischen Staaten auf, die Militärausgaben zu erhöhen und ihren Platz direkt hinter Trump in der Koalition der imperialistischen Mächte für das Eingreifen im Mittleren Osten einzunehmen, womit sie unsere Völker in einen endlosen Krieg mit allen seinen Konsequenzen ziehen.

Die größten Kämpfe bereiten sich vor, in denen die europäischen Völker aufstehen werden gegen ihre Regierungen im Dienste der Krisenanforderungen der Finanzmärkte und Spekulanten jeder Art.

Von der Entwicklung dieser Kämpfe und ihrer Verbindung untereinander wird die Zukunft eines freien und brüderlichen Bundes aller Völker Europas abhängen, des gesamten Europa von Ost bis West, von Nord bis Süd.

Die Unterzeichner dieses Briefes engagieren sich in der Vorbereitung einer Offenen Weltkonferenz gegen Krieg und Ausbeutung, in Algier im kommenden Oktober. Sie beschließen, auf der Grundlage der in diesem Brief entwickelten Positionen, zu der Herausbildung einer repräsentativen europäischen Delegation zur Offenen Weltkonferenz beizutragen.

Wir laden Euch herzlich ein, Euch mit uns zu verbinden.

Unterzeichner