Élie Domota, Generalsekretär des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes von Guadaloupes (UGTG)
Frage: Warum nimmst Du an der OWK teil und was denkst Du über die Diskussion, die hier geführt wird?
Élie Domota: Für die Arbeiterkämpfer ist es immer wichtig, Kämpfer anderer Organisationen treffen zu können, um sich auszutauschen, aber auch um Kontakte zu knüpfen und die Solidarität zu stärken. In unterschiedlichem Ausmaß und auf verschiedenen Ebenen sind wir alle Opfer der selben Unterdrückung, der selben Deregulierung, Privatisierung, Restrukturierung, des Krieges und der Barbarei. Und es ist wichtig, dass die Arbeiter der Welt sich austauschen können, die sich nur durch ihre jeweilige Kultur unterscheiden, was uns verschieden macht und gleichzeitig bereichert. Es ist also sehr wichtig, dass wir uns treffen, austauschen und – wie man bei uns sagt – ein „lyannaj“ für die Solidarität schaffen, denn für uns, den UGTG in Guadaloupe, ist die internationale Solidarität ein wesentliches Glied im Kampf für die soziale und die nationale Befreiung. Gerade wir bei uns haben Unterstützung durch die Solidarität der IAV, des CICR aber auch vieler weiterer Organisationen weltweit bekommen, als das französische Rechtssystem uns mit zahlreichen Prozessen überzog.
Frage: Kannst Du uns mehr über diese Angriffe und speziell über das Verfahren gegen Dich persönlich, das noch nicht abgeschlossen ist, sagen?
Élie Domota: Schon seit einigen Jahren wurden unsere Genossen systematisch in die Gendarmerie vorgeladen, in Polizeigewahrsam genommen und dabei Gen-Tests unterzogen. Wir haben immer gesagt: Wir sind keine Sexualstraftäter, wir sind Gewerkschaftskämpfer. Bisher wurden fünf Genossen zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt. Seit kurzem hat es aber bei den Vorladungen keine Gen-Tests mehr gegeben, wohl aufgrund der Mobilisierung der Arbeiter Guadaloupes und der internationalen Solidarität, insbesondere des CICR, das sich direkt an die juristischen Instanzen gewandt hatte. 107 Mitglieder des UGTG – und noch mehr, denn es sind nicht nur Mitglieder des UGTG betroffen – wurden vor Gericht gebracht, zu Haftstrafen verurteilt, die dann in Tagessätze umgewandelt wurden, was Geldstrafen von Tausenden Euro bedeutet – und das alles, um den sozialen Protest zu ersticken. Die Solidarität, die uns aus Frankreich, Europa und Amerika zuteil wurde, hatte Gewicht und hat uns geholfen, den einen oder anderen Freispruch zu erreichen.
Was meinen Fall angeht, bin ich für den kommenden 15. März in Pointe-à-Pitre wegen „gemeinschaftlich begangener Gewalt“ vorgeladen. Ein Manöver des Arbeitgeberverbandes Medef, um unsere Aktionen zu kriminalisieren. Wir sind die größte Organisation Guadaloupes, und wir sind eine Organisation, die nicht kompromittiert ist. Wir sind eine Organisation des Klassenkampfs, der Konfrontation und des Widerstands. Wir beteiligen uns nicht am institutionalisierten sozialen Dialog, den sie uns aufdrängen wollen.
Frage: Du hast in Deinem Redebeitrag von der kolonialen Unterdrückung gesprochen. Wie stellt sie sich heute in Guadeloupe dar?
Élie Domota: Das LKP *-Protokoll, das vom Staat, von Mandatsträgern in Guadeloupe unterzeichnet worden war, schlug Lösungen oder Lösungsansätze für alle Bereiche vor. Es wurde niemals vom Staat umgesetzt! Nicht im Geringsten! Seine Vorschläge tatsächlich umzusetzen würde nämlich bedeuten, die Beziehungen, die uns an Frankreich ketten, in Frage zu stellen. Für sie geht es nicht darum, dass sich Guadeloupe entwickelt, sondern dass es den Interessen Frankreichs nützt. Heute ist das ganze Produktionssystem zerstört zugunsten eines Systems, das das Vermögen der Békés ** über alle Maßen begünstigt. Die Macht hat sich also zum Ziel gesetzt, aus Guadeloupe eine Konsum-Kolonie zu machen.
Nehmen wir mal den Beitrag der Genossin aus Réunion. Sie hat die gleichen Symptome beschrieben, wie wir sie in Guadeloupe sehen, und doch ist Réunion 20.000 Kilometer von uns entfernt! Wir haben aber eines gemeinsam: nämlich die französische Kolonialherrschaft über uns. Wenn man sich die Funktion des Systems genau betrachtet, wurden wir niemals als französische Staatsbürger anerkannt.
Frankreichs Ziel ist es – und der französische Genosse hat es vor wenigen Minuten so gesagt -, die Völker zu unterwerfen, in die Abhängigkeit zu führen und zu dort halten. Frankreich ist heute dank seiner Kolonien die zweite maritime Macht und dank Neu-Kaledonien der zweite Nickelproduzent weltweit; es unterhält in Guyana den größten Weltraumbahnhof für Satelliten! Es ist der größte Produzent von Nuklearanlagen weltweit: das Uran dazu schürft es in Niger. Frankreich ist der zweitgrößte Kakao-Verarbeiter der Welt – den es aus der Elfenbeinküste bezieht! Der größte Erdölkonzern Frankreichs fördert sein Öl in Gabun und in Nigeria!
Unsere Priorität hingegen ist eine Landwirtschaft, die die Bevölkerung von Guadeloupe ernähren kann! Heute umfasst unsere Landwirtschaft allein Zuckerrohr und Bananen, die für den Export bestimmt sind. Ein normales Land ernährt seine Bürger, das ist die Lebensmittel-Souveränität. Bei uns machen immer noch nur zwei von zehn Kindern, die in den Kindergarten gehen, auch das Abitur! Da haben wir ein Problem!
Macron vergisst eines: Die Kolonisation ist ein Verbrechen. Bei irgendwem zu landen, ihn zu vergewaltigen, auszubeuten, zu töten ist ein Verbrechen. Eigentümer der Güter eines anderen Volkes zu werden durch Blut! Er sagt: „Die Kolonisation habe ich nicht miterlebt“, aber wer -wenn nicht er – erntet weiterhin die Früchte dieses Verbrechens? Entweder er verzichtet auf diese Früchte und beginnt damit eine Diskussion über Entschädigung und Wiederherstellung, oder er erntet sie weiter – dann macht auch er sich eines Verbrechens schuldig. Zusammen mit anderen Organisationen kämpfen wir für die Wiederherstellung – nicht für eine Entschädigung, die uns doch nicht zurückbringen kann, was wir verloren haben.
Gebt uns unser Land zurück! Man kann nicht durch ein Verbrechen Eigentümer der Güter eines anderen werden. Wir empfinden uns als Erben der Indianer und der afrikanischen Sklaven. Deshalb betont meine Organisation immer wieder unsere Verbundenheit mit dem Ziel der nationalen Unabhängigkeit und der vollen Souveränität.
Das ist dann sicher auch der Grund, warum wir ins Fadenkreuz des französischen Staates geraten sind, während andere niemals belästigt werden.
Aber wir sind in einer neuen Situation: auf einmal kommuniziert man mit uns, Repräsentanten des französischen Staates möchten mit uns sprechen… Ich war wirklich überrascht: acht Jahre lang wollte uns niemand auch nur anhören, auf einmal sind wir gesellschaftsfähig. Die Strategie ist einfach zu durchschauen: Erst haben sie es mit der Peitsche versucht. Das hat nicht funktioniert, weil wir immer widerspenstiger werden, je mehr man uns schlägt. Jetzt versuchen sie es daher mit einem Pseudo-Dialog…
Sie sind sich der Sackgasse bewusst, der Tatsache, dass sie sich in einer desaströsen Situation befinden: Wir haben nicht mal mehr ein Hospital, es ist abgebrannt und wurde durch ein Feldlazarett ersetzt! Sie haben Angst vor der Explosion.
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Anmerkungen der Red.:
* Das Liyannaj Kont Pwofitasyon 1 oder abgekürzt LKP („Collectif contre l’exploitation outrancière“ 2 auf Französisch ) ist ein Kollektiv aus Guadeloupe , das rund fünfzig Gewerkschafts-, Verbands-, politische und kulturelle Organisationen aus Guadeloupe zusammenbringt. Ihr Sprecher ist Elie Domota, Seit dem Generalstreik von 2009 in Guadeloupe hat der französische Staat immer wieder gegen die GewerkschafterInnen und den Gewerkschaftsbund UGTG Repressalien angewendet, weil sie im Kampf für ihre Forderungen das demokratische Grundrecht auf Streik in Anspruch genommen haben. Am 4. März 2009 unterzeichnete das LKP ein Abkommen, das 165 Artikel enthält und die Fortschritte hinsichtlich der 146 ursprünglichen Forderungen wiedergibt. In einem Anhang befindet sich die Vereinbarung über den Lohnanstieg für Geringverdiener um 200 Euro. Obwohl das Abkommen im Beisein des Präfekten und staatlicher Vermittler abgeschlossen wurde, erklärte die Regierung unter dem Druck des MEDEF, der Staat würde das Protokoll des Abkommens nicht unterstützen.
** Das Vermögen der Békés, der Nachfahren der Kolonialherren, ist auf die Sklaverei zurückzuführen. Sie sind die ausschließlichen Grossverteiler, sie bestimmen die Preise. Der Staat unterstützt sie mit Subventionen.