Guadeloupe: „Das ist eine Niederlage für sie auf der ganzen Linie“

Interview mit Élie Domota, dem UGTG-Generalsekretär, nach seinem Prozess:

Frage: Dein Prozess hat heute am 15. März 2018 stattgefunden. Du bist zu 300 Euro Strafgebühr verurteilt worden. Wie schätzt Du das ein?

Élie Domota: Ich glaube, dass die Justiz hier in Guadeloupe zusammenbricht. Als der Richter die 300 Euro Strafe verkündete, hat er sogar hinzugefügt: „Wenn Sie das innerhalb von 20 Tagen bezahlen, erhalten sie 20% Rabatt.“ Dann fing er an zu kichern. Jeder im Saal erkannte sofort, dass der Prozess reine Maskerade war, dass er mühsam inszeniert wurde in dem Bestreben, das Handeln der UGTG zu kriminalisieren, den Gewerkschaftsbund UGTG zu verteufeln und dann mich selbst als UGTG-Generalsekretär und LKP*-Sprecher zu diskreditieren. Alles war darauf ausgerichtet. Zu ihrem Pech ist der Plan gescheitert, weil sie von Anfang an allein daran interessiert waren, eine Anklage zu erreichen, uns belangen zu können, bis dahin, uns daran zu hindern, weiter an den Gewerkschaftsaktionen in einer Struktur wie dem UGTG teilzunehmen.

Was hat man im Verlauf der Gerichtsverhandlung erfahren? Dass die angebliche Person, die ich geschlagen haben sollte, ihre Klage zurückgezogen hat, die Staatsanwaltschaft aber das Verfahren fortgeführt hat. Und ich habe mich ständig gefragt: Warum nur hat am 6. Juli 2017 das Gericht von Pointe-à-Pitre selbst die Vertagung auf den 15. März 2018 beantragt? Und damals wusste man nicht, dass der angebliche Kläger seine Klage zurückgezogen hatte. Und ich glaube, dass sie an dem 6. Juli zu wenige Argumente hatten, sie konnten eine solche Anklage nicht vor uns und unseren Verteidigern aufrechterhalten.

Deshalb hat man am Beginn des Schuljahres offen und direkt den Kollegen Lionel Chouro belangt. Ich glaube, die beiden Affären hängen zusammen. Das Ziel der Unternehmer – besonders des Medef – ist es, gemeinsam mit ihrem natürlichen Verbündeten, der französischen Kolonialjustiz und in diesem Fall mit dem Staatsanwalt von Pointe-à-Pitre, mit allen Mitteln Lionel Chouro wegen Diebstahl von Ersatzteilen verurteilen zu lassen. Sie wollen so dem Volk von Guadeloupe weismachen, dass der UGTG ein Hort von kleinen Gaunern und Banditen ist, diese unterstützt, und außerdem gewalttätig ist. Aber sie haben eine Niederlage auf der ganzen Linie erlebt. Sie hatten anfangs eine Gefängnisstrafe auf Bewährung und hohe Geldbußen geplant und heraus kamen 300 Euro Bußgeld mit 20% Rabatt, also 240 Euro. Da wurde klar, dass der Freispruch für sie eine völlige Niederlage und Misskredit war. (…) Mit dieser „kleinen Verurteilung“ zu 240 Euro wollten sie sicherlich in bestimmter Weise sagen, „nun gut, das Verfahren ist beendet, man geht nach Hause und alles ist beendet“. Auf keinen Fall. Wir selbst denken, dass all das inszeniert wurde, um uns zu diskreditieren, zu verteufeln, zu zerbrechen. (…)

Deshalb haben wir beschlossen, Revision gegen den Gerichtsbeschluss einzulegen. Denn selbst wenn das Urteil nur einen halben Eurocent betragen würde, kommt es nicht infrage, dass wir es hinnehmen können, besonders nicht unter diesen Umständen, wo wir selbst eine eigene Klage einreichen.

(Domota weist darauf hin, dass gegen weiße Großunternehmer und andere Kapitalisten auf Guadeloupe, wegen ihrer von der Arbeitsinspektion protokollierten Verfehlungen niemals Verfahren vom Staatsanwalt eingeleitet wurden). Sobald es aber um einen Gewerkschafter geht, besonders wenn er UGTG-Mitglied ist, gibt es ein oder zwei falsche Zeugen, eine erfundene Klage, und schon wird man vor Gericht gestellt und verurteilt. Deshalb nehmen wir diese Anklage sehr ernst. Sie zeigt einmal mehr die Verschwörung zwischen den staatlichen Stellen, dem Staatsanwalt von Pointe-à-Pitre und dem Großkapital gegen die Arbeiter und den gewerkschaftlichen Kampf.

Frage Es gab eine sehr große kämpferische Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude, die ein großer Erfolg war. Die Mobilisierung der Arbeiter und des Volkes von Guadeloupe ist zur Stelle. War die internationale Solidarität ebenfalls da?

Élie Domota: (…) Wir haben Dutzende, um nicht zu sagen Hunderte, Unterstützerbotschaften aus der Karibik, aber auch aus der Pazifik erhalten. Aus der Karibik waren das Venezuela, Kuba, Surinam, Haiti, Santo Domingo. Aber auch aus Südafrika, Mexiko, Peru, Brasilien, und aus Frankreich, Belgien, der Schweiz, Deutschland. (…)

Die Kombination all dessen hat gewirkt. Die Organisationen und Mobilisierung der Arbeiter und des Volkes von Guadeloupe. Die sieben oder acht Verteidiger in der Gerichtsverhandlung, die internationale Solidarität mit den Kommuniqués, aber auch die Arbeit des Internationalen Komitees gegen Repression und alle Kontakte, die wir auf der Offenen Weltkonferenz in Algier im Dezember 2017 knüpfen konnten.

All das hat bewirkt, dass unser Hilferuf weit über die Grenzen Guadeloupes hinweg und überall auf der Welt, wo es Organisationen gibt, gehört wurde. (…)

Frage: Du hast von der Weltkonferenz in Algier gesprochen, auf der Du eine Rede gehalten hast. In den Debatten wurde deutlich, dass die Versuche zur Gleichschaltung der Gewerkschaften sehr zunehmen: das ist eine internationale Erscheinung in oft verschiedenen Formen. Wie schätzt Du diese Entwicklungen ein?

Élie Domota: Der Druck zur Gleichschaltung ist eine Realität. Die bei uns in Guadeloupe dabei angewandten Bestimmungen stammen von der französischen Regierung und der Europäischen Union. Man kann seit einigen Jahren und besonders seit der Bildung der Regierung Macron feststellen, dass die sozialen und besonders die gewerkschaftlichen Rechte umfassend infrage gestellt werden. Es gibt eine organisierte Offensive der staatlichen Behörden gegen die gewerkschaftlichen Rechte. Man kann ohne sich zu täuschen sagen, dass die Gesetzestexte auf sozialem Gebiet, die per Dekreten erlassen werden, die Forderungen der Unternehmer, des Unternehmerverbands Medef übersetzen.

Man spürt es sehr deutlich: die Organisationen für den Kampf wie unsere werden offen diffamiert. Und der Prozess gegen mich passt in diesen Rahmen. Sie wollen die kämpferischen Kollegen verteufeln, kriminalisieren und unterdrücken und herausfinden, wie sie eine Gewerkschaft für die Zusammenarbeit, wie wir es nennen, formen können, eine Gewerkschaft für faule Kompromisse und „soziale Begleitung“ im Dienste des Großkapitals, der EU und des Staates.

Weil wir aber diesen Rahmen ablehnen, sind wir besonders seit 2009 (doch tatsächlich immer schon) Zielscheibe des französischen Staates, und wir zählen 108 Personen unserer Organisation und auch weitere Opfer der Repression, die direkt von den französischen Gerichten wegen Mobilisierung, Streik, Demonstration für die Verbesserung der Lebensbedingungen verfolgt werden. (…)

Das Gespräch führte Gérard SARTANA