„Roms neue Regierung weckt Ängste vor neuer Euro-Krise (…) Italien wird zur Gefahr für Europa“, kommentiert das Handelsblatt (21. Mai).
Es ist eine Tatsache seit dem Wahlergebnis vom letzten 4. März: die politische Unsicherheit in der drittgrößten europäischen Macht löst Panik in Brüssel aus.
Am 27. Mai hatte der Präsident der Republik, Mattarella, sein Veto eingelegt und entgegen dem Vorschlag der Parteiführer der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der Lega Nord die Ernennung von Paolo Savona zum Wirtschafts- und Finanzministers verweigert.
Inmitten des politischen Chaos hatte Mattarella dann Cottarelli mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt.
Die Entscheidung Mattarellas für Cottarelli war eine Provokation. Cottarelli ist ein ehemaliger hoher IWF-Verantwortlicher, der von 1988 bis 2013 im IWF arbeitete und die Verkörperung der Haushaltskürzungen ist.
Es handelt sich um eine neue Episode in der langen politischen Krise in Italien, die zur aktuellen Auflösung der Europäischen Union beiträgt. Diese Situation ist das Ergebnis der Ablehnung aller Parteien oder deren Reste, die seit 1945 die Säulen der Regierungen waren, durch die italienische Bevölkerung: der Christdemokratie (DC) und der KPI, die in den 1970er Jahren ein Bündnis mit der DC zur Begleitung für die EU-Sparpolitik geschlossen hatte und deren Reste mit einem Teil der DC 2007 zur Demokratischen Partei fusionierten. In ihrem Zusammenbruch drückt sich die Ablehnung ihrer abwechselnd betriebenen Politik aus: der starken Einschnitte im öffentlichen Dienst, besonders im Bildungs- und Gesundheitswesen, Flexibilisierung und Infragestellung der Schutzbestimmungen im Arbeitsrecht, vielfache Antireformen bei den Renten, Prekarisierung und Massenarbeitslosigkeit. (…). Die italienische Arbeiterklasse verfügt über keine Partei mehr, die sich auf ihre Interessenvertretung beruft.
In den Finanzmärkten und EU-Institutionen breiten sich Unruhe und Nervosität aus, verstärkt durch das Wahlergebnis vom 4. März und das „Programm“ der daraus hervorgegangenen Regierung. Panik in Brüssel und bei den wichtigsten europäischen Regierungen: Rom muss im EU-Rahmen bleiben und seine Schulden abbauen.
Präsident Mattarella stand außerdem unter Druck, die internationalen Investoren und die EU-Institutionen zu beruhigen. Das war der Sinn der Ernennung von Cottarelli. (…)
Aus ganz Europa trafen Unterstützerbotschaften für Mattarellas Veto ein. Unter ihnen begrüßten Merkel und Macron seinen „Mut“ und sein „Verantwortungs-bewusstsein“.
Nach der Einigung über die Regierung: Rückkehr zur Ruhe vor einem neuen Sturm?
Am 31. Mai wurde endlich nach neuen Verhandlungen 86 Tage nach den Wahlen vom 4. März eine Einigung erzielt und von Präsident Mattarella akzeptiert.
Der „Euroskeptiker“ Paolo Savona wird nicht Wirtschaftsminister. Wie es heißt wird er, auf Vorschlag der Bank von Italien und des Confindustria (italienischer Unternehmerverband) durch Giovanni Tria ersetzt. Die Lega setzte allerdings durch, dass Savona auf dem Posten für europäische Angelegenheiten Regierungsmitglied wird „als Herausforderung für Brüssel und Berlin, die wegen ihrer ‘nicht hinnehmbaren Einmischung‘ kritisiert werden“ (»Les Échos«, französische Unternehmerzeitung).
Diese Lösung verscheucht nach Meinung der Europäischen Union und des Finanzkapitals das Gespenst von Neuwahlen. Sie fürchteten eine verstärkte Ablehnung von Seiten der Wähler, d.h. eine historische Niederlage der traditionellen Parteien, die sich seit Jahrzehnten in der Regierung abgewechselt haben.
Aus dem Zusammenbruch dieses Systems entstehen und wachsen die Lega und M5S. Seit drei Monaten befanden sich die Finanzmärkte im Alarmzustand. Die Ratingagentur Moody’s kündigte eine Abstufung Italiens an.
Schon am 2. Juni führt Conte Gespräche mit Merkel und Macron. Brüssel wird leiser. Alle sind „zur Zusammenarbeit mit der neuen Regierung Conte bereit“. Auch Washington. Auf der Linie: die neue Regierung soll sich in der Praxis bewähren. Merkel erklärte dazu: „So sind wir auch im Konflikt mit Griechenland wegen der notwendigen Reformen verfahren und haben eine akzeptable Lösung gefunden.“ Berlin wie Paris geht es darum, Druck auf die Regierung Conte auszuüben, damit Italien im EU-Rahmen bleibt.
Welche Zukunft hat diese Regierung?
Ihr Programm soll die gegensätzlichen Versprechungen der Lega und der M5S (wie Steuersenkungen und ein Grundeinkommen von 780 Euro) miteinander verbinden. Brüssel und die Finanzmärkte verfolgen mit größter Sorge diese Situation. So schreibt »Les Echos«: „Wie soll man ein Programm durchführen, das auf über 110 Milliarden Euro geschätzt wird, bei Schulden von 132% des BIP, und gleichzeitig die EU-Verpflichtungen Italiens einhalten?“
Die Mailänder Börse hat zuletzt einen Teil der Kursverluste wieder aufgeholt. Laut »Le Figaro« „ist Brüssel erleichtert, bleibt jedoch auf der Hut“. „Rückkehr zur Ruhe vor einem neuen Sturm?“ (Les Echos) Korrespondent