8.-9. Juni 2018 in Paris: Vorschlag und Beschlüsse
55 Delegierte aus 33 Ländern (von 42 angemeldeten) (1) haben in Paris vom 8.-9. Juni 2018 das Internationale Verbindungskomitee (IVK) gegründet, so wie es auf der 9. Offenen Weltkonferenz (OWK) der Internationalen Verbindung der ArbeitnehmerInnen und Völker (IAV) in Algier vom 8.-10. Dezember 2017 beschlossen wurde. Diese erste Gründungskonferenz wurde von der IAV-Koordination einberufen, die 2010 auf der 8. OWK konstituiert wurde. Sie hat am 7. Juni, am Vorabend des IVK, getagt. Die Gründungskonferenz findet in einer Situation statt, in der alle Diskussionen, die wir in Algier geführt haben, eine besondere Bedeutung annehmen.
Alle Auswirkungen der Wende in der Weltlage infolge der Wahl von Trump zum US-Präsidenten materialisieren sich auf spektakuläre Weise.
Der von Trump gestartete Wirtschaftskrieg, mit dem er versucht, den Schraubstock zu lockern, der unter dem Druck der Krise des imperialistischen Weltsystems die Fundamente der US-Wirtschaft zersetzt, führt dazu, dass das gesamte System für die Aufrechterhaltung der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Weltordnung auseinanderfliegt.
Unter dem Vorwand der „Wiederherstellung des Gleichgewichts“ in den Handelsbeziehungen zwischen den USA und China übt Trump einen unerträglichen Druck auf seine „europäischen Verbündeten“, wie auch auf seine „asiatischen Verbündeten“, Südkorea und Japan, aus.
Mit seiner Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran entzieht er nicht nur den europäischen Konzernen einen für sie lebensnotwendigen Markt; droht er nicht nur den Banken den Tod an, die dem Verbot von Geschäften mit dem Iran zuwider handeln – sondern er wälzt auch das gesamte Bündnissystem im Nahen Osten um, das bereits durch den Syrienkrieg erschüttert ist. Indem Trump den militärischen Druck auf Iran erhöht, mobilisiert er die Golf-Monarchien an seiner Seite und weist ihnen eine führende direkte Rolle gemeinsam mit Israel in der Zerschlagung des palästinensischen Volkes zu.
In dieser Situation des entfesselten Handelskriegs kämpfen der US-Imperialismus und seine Rivalen so erbittert wie nie zuvor um die Kontrolle über die Rohstoffe. Es tobt ein Kampf um die Neuaufteilung der Einflusszonen besonders in Afrika, wo der „Wirtschaftskrieg“ in provozierte echte Kriege umschlägt, die die Rüstungsindustrie ankurbeln und Millionen Menschen in die Flucht treiben. Gegen sie versucht der Imperialismus die Bevölkerung in den Ländern aufzuhetzen, in denen die Flüchtlinge Asyl suchen.
Das Kapital strebt Ausbeutungsraten an, die unvereinbar mit den Errungenschaften sind, welche die Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern, sowie die Arbeiterklasse und Völker in den unterdrückten Ländern in ihrem nationalen Befreiungskampf erobert haben.
Alle Errungenschaften müssen verschwinden: Arbeitsrecht, Rentensysteme, Gesundheits- und Bildungswesen, wirklich alles…
In den imperialistischen Ländern lebten die alten Arbeiterparteien bis jetzt –mit den von ihnen beeinflussten Gewerkschaften – von der Verwaltung dieser Errungenschaften. Weil sie sich den neuen Anforderungen des von Krisen erschütterten Imperialismus unterordnen, befinden sie sich im Zusammenbruch. Sie werden von den Arbeitern, in deren Namen sie vorgeben zu sprechen, abgelehnt.
In den vom Imperialismus unterdrückten Ländern sind diejenigen Parteien und Bewegungen, die jahrzehntelang das Streben der Völker nach nationaler Souveränität verkörperten und die einen Kompromiss mit den Anforderungen der brutalen imperialistischen Reaktion gesucht haben, ebenfalls in die Krise geraten.
Es existieren jedoch in einigen Ländern große Arbeiterparteien oder anti-imperialistische Parteien, die von den Arbeitnehmern und Völkern anerkannt werden, selbst wenn diese Parteien ebenfalls von der Krise der politischen Arbeitnehmervertretung erfasst werden oder unter den Auswirkungen leiden.
Die drängende Frage des Wiederaufbaus von authentischen Arbeitnehmervertretungen stellt sich weltweit. Natürlich geht diese Suche von der Geschichte und den Traditionen der Arbeiterbewegung in jedem Land und deren jeweiliger Natur aus.
Ein breites politisches Feld öffnet sich. Ein politisches Feld, das nicht ohne Widersprüche ist. Wie könnte es anders sein in einer Situation, wo die Erfahrungen so unterschiedlich sind?
In einer Zeit, wo sich offensichtlich gigantische Klassenkämpfe ankündigen, scheint es unverzichtbar zu sein, dass wir uns über unsere jeweiligen Erfahrungen austauschen. So hat am Morgen des 8. Juni ein Treffen von 14 europäischen Delegationen stattgefunden, auf dem neben anderen Fragen betont wurde:
»Die politische Krise, die gerade in Italien ausgebrochen ist und die die zerbrechliche Konstruktion der EU-Institutionen erschüttert, kommt nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Sie ist in Italien der Ausdruck einer breiten Bewegung der ‘Ablehnung‘, die sich in ganz Europa gegen die Politik der Antireformen unter dem Diktat des Finanzkapitals via EU ausbreitet. Sie ist Bestandteil der Kette von politischen Ereignissen, die in jüngster Vergangenheit die Regierungen erschüttert haben, in Großbritannien (Brexit), Frankreich (Wahl von Macron mangels anderer Kandidaten), Deutschland (Einbruch der SPD), in Spanien… Eine ‘Ablehnung‘, die sich in ganz Europa entwickelt und verstärkt und deshalb uns alle etwas angeht.
Es hat keinen Rechtsruck des italienischen Volkes gegeben, genauso wenig wie in Osteuropa, wo die Völker den EU-Beitritt teuer bezahlt und 25 Jahre unter der Politik der Strukturanpassung gelitten haben.«
In Afrika stellt sich mit äußerster Dringlichkeit die Frage des Kampfes für die nationale Souveränität gegen die ausländische Plünderung, gegen die militärischen Interventionen der Imperialisten und neue IWF-Diktate.
Die regierenden politischen Herrschaftssysteme setzen auch bei einem Wechsel die Politik um, die ihnen von den imperialistischen Mächten und Institutionen diktiert wird. Es geht um das nackte Überleben der Völker und den Erhalt der elementarsten Errungenschaften und Freiheiten.
Es entwickeln sich große Widerstandsbewegungen in der Arbeiterklasse, in der Jugend und in allen ausgebeuteten Schichten, während der gesamte Kontinent im Chaos zu versinken droht.
Das unterstreicht die Notwendigkeit für alle in diesen Kämpfen engagierten Kollegen und Organisationen, die Diskussion über die politische Strategie zu eröffnen, die es ihnen erlaubt, ihre volle nationale Souveränität zu erobern und eine authentische politische Vertretung der Arbeiter und unterdrückten Schichten aufbauen zu können.
In Lateinamerika, der Region, die der Imperialismus immer als seinen „Hinterhof“ betrachtet hat, hat sich der Widerstand der Arbeiter und unterdrückten Völker gegen den zerstörerischen Druck von Trump auf die Nationen in Venezuela mit der Wiederwahl von Nicolas Maduro zum Präsidenten gezeigt – und das in einer Situation der wirtschaftlichen Blockade und Sabotage, um das Chaos zu provozieren und eine ausländische Intervention zu rechtfertigen.
Dieser Widerstand zeigt sich ebenfalls in Brasilien, wo zwei Jahre nach dem pro-imperialistischen Putsch die Arbeiterpartei PT am 8. Juni öffentlich Lula als offiziellen Präsidentschaftskandidaten angekündigt hat, der schon zwei Monate lang politischer Gefangener ist. Das ist ein Hebel für die Zentralisierung des Kampfes der Arbeiter und unterdrückten Schichten zur Aufhebung der Maßnahmen, welche die Putschisten gegen ihre Rechte und Errungenschaften, gegen die nationale Souveränität, ergriffen haben.
In Palästina bekräftigt die in Volkskomitees strukturierte Bewegung des Großen Marsches für die Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Land Woche für Woche ihre Entschlossenheit, sowie die des ganzen palästinensischen Volkes, das für seine nationale Befreiung kämpft. Innerhalb des Apartheidstaates Israel, in Gaza, an mehreren Orten im Westjordanland, verbreiten sich die gleichen Losungen in den Demonstrationen: Wir sind ein Volk, in unseren Adern fließt das gleiche Blut, wir haben das gleiche Schicksal und wollen heimkehren! Wie in der ganzen Welt wirft die Mobilisierung in Palästina gegen die Unterdrückung und imperialistische Politik die Frage nach den Hindernissen auf, die besonders von denen errichtet werden, die an den Osloer Verträge festhalten, die eine Falle sind.
Die Vertreter des Finanzkapitals geraten weltweit in Panik angesichts der auf allen Kontinenten anschwellenden Welle des Widerstandes. Millionen Menschen stehen im Kampf für die Einheit ihrer Klassenorganisationen, um die zerstörerische Politik gegen alle seit dem Krieg oder in nationalen Unabhängigkeitsbewegungen gewonnenen politischen und sozialen Errungenschaften zu beenden.
Soweit wir das beurteilen können, zeigte sich dieser Widerstandswille zuerst in allen unseren Ländern in jeweils spezifischen Formen im Zusammenbruch der alten Parteien, die sich traditionell auf die Interessenvertretung der Arbeiter und der Demokratie beriefen und die neuerdings abgelehnt werden, weil sie sich den Forderungen des Finanzkapitals unterwerfen, mit allen Folgen, die diese Unterordnung für die Gewerkschaftsbewegung hat.
Ein Zusammenbruch, der nicht von sich aus einen politischen Ausweg im Interesse der arbeitenden Bevölkerung und Demokratie öffnet.
Damit stellt sich Notwendigkeit des Aufbaus einer authentischen politischen Arbeitervertretung, auf der Grundlage eines vollständigen Bruchs mit der Politik der Begleitung der Politik des Kapitals, d.h. einer authentischen politischen Arbeitervertretung, die sich für die Organisierung der Arbeiterklasse als Klasse einsetzt; in der Einheit der Arbeiterorganisationen gegen das Finanzkapital und die Regierungen in seinen Diensten.
Das IVK hat beschlossen, den Informationsaustausch einschließlich über die jeweilige Rolle der Parteien und Gewerkschaften in jedem unserer Länder fortzusetzen und zu vertiefen, d.h. den Austausch über die Erfahrungen in unseren Ländern, der notwendiger denn je ist.
Die vorliegende vom IVK verabschiedete Erklärung versteht sich als Beitrag zu dieser notwendigen Diskussion, um in der Überwindung der Krise der politischen Arbeitervertretung Fortschritte zu machen. Wir schlagen vor, dieses Dokument zu verbreiten, um diese Diskussion in jedem unsere Länder zu vertiefen und international zu verbreiten.
Das wäre ein ausgezeichneter Ausweis, um Kontakt mit allen aktuellen Regruppierungen für den Wiederaufbau der politischen Grundlagen einer authentischen Arbeitervertretung aufzunehmen.
Das IVK war eine gute Gelegenheit für den Austausch zwischen den Delegierten besonders über folgende lebenswichtige Fragen:
- einige Kollegen haben auf die Sackgasse der Politik des „sozialen Dialogs“ von Gewerkschaftern hingewiesen;
- weltweit ist in verschiedenen Formen das Streikrecht in Gefahr. Das ist eine zentrale Frage des Widerstandskampfes der Gewerkschaften;
- über die Politik der Führungen hinaus ist die Verteidigung der Gewerkschaften die Voraussetzung, um die Verteidigung der Arbeiterklasse und der unterdrückten Schichten zu organisieren;
- die Einrichtung von Militärbasen im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus, der letzteren nur noch anheizt, ist eine Gefahr für die Souveränität und Integrität der Nationen und für alle sozialen und demokratischen Rechte;
- mehrere Delegierte haben auch auf die tragische Situation der Migranten und „illegalen“ Flüchtlinge hingewiesen, die ihre Ursache in den imperialistischen Kriegen und der zerstörerischen Politik des Imperialismus hat. Diese wird von den Lakaienregierungen umgesetzt und verstärkt Arbeitslosigkeit und Elend besonders unter den Jugendlichen. Deshalb müssen die anti-imperialistischen und Arbeiterorganisationen diese Politik bekämpfen und die Verteidigung der Migranten und Flüchtlinge gemäß den Traditionen der Arbeiterbewegung organisieren;
- es wurde die Notwendigkeit betont, praktische Wege für die internationale Solidarität zu schaffen.
*** *** ***
Das IVK hat die Vorschläge der Delegierten aus Kamerun und Togo zur Kenntnis genommen, im Laufe des Jahres subregionale Konferenzen in jedem dieser Länder zu organisieren.
Das IVK hat einer Resolution zugestimmt, in der die Freilassung der ukrainischen politischen Gefangenen, die in Russland im Gefängnis sind, gefordert wird.
*** *** ***
- Es wurde eine Resolution verabschiedet für die Freilassung von O. Sentsov und O. Koltcheno, die im Hungerstreik für die Freilassung von 70 ukrainischen politischen Gefangenen aus russischen Gefängnissen sind.
- Am Morgen des 8. Juni fand ein Treffen von Delegierten aus 14 europäischen Ländern statt.
- Julio Turra hat den Brief des Anwalts von Lula, Luiz Eduardo Greenhalgh, verlesen, Luiz Eduardo Greenhalgh konnte nicht an der IVK-Konferenz teilnehmen, da er für die Verteidigung Lulas in Brasilien bleiben musste.
- Die Texte und Resolutionen werden wir in einem Bulletin der IAV, bzw. in der „Sozialen Politik & Demokratie“ veröffentlichen.
*** *** ***
(1) Algerien, Azania (Südafrika), Benin, Brasilien, Burkina Faso, Deutschland, Djibouti, Elfenbeinküste, Frankreich, Gabun, Gambia, Großbritannien, Guadeloupe, Guinea, Haiti, Italien, Lettland, Libanon, Kamerun, Kongo, Mali Marokko, Martinique, Mexiko, Niger, Palästina, Portugal, Rumänien, Ruanda, Russische Föderation, Schweden, Schweiz, Senegal, Serbien, Spanien, Tschad, Togo, Tunesien, Türkei, Ukraine, Venezuela, Weißrussland (von den fehlenden Delegierten haben einige kein Visum erhalten, andere waren wegen gewerkschaftlicher Pflichten verhindert, wie Delegierte aus: Brasilien, Gambia, Guinea, Haiti, Italien, Mali, Marokko, Mexiko, Tschad und Tunesien).