VENEZUELA

Beitrag von Raul Ordonez, Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes der Wasserkraftwerke Venezuelas (vertreten in 14 Bundesstaaten, 10.000 Arbeiter) und Abgeordneter in der Verfassunggebenden Nationalversammlung

Im Hinblick auf die letzte Präsidentschaftswahl in Venezuela kann man als erstes feststellen, dass bestimmte Länder entschieden haben, die Wahl sei nicht legitim und sie würden ihre Ergebnisse nicht anerkennen, obwohl Präsident Maduro mit 68% der Stimmen und 46% Wahlbeteiligung wiedergewählt wurde. Das Wichtigste ist jedoch, dass er dreimal so viele Stimmen wie sein Gegner Henri Falcon erhalten hat. Maduro wurde damit für sechs weitere Jahre wiedergewählt – bis 2025.

Die Offensive des Imperialismus gegen Venezuela

Die ersten, die Maduros Wahl nicht anerkennen wollen, sind die Regierungen von Kolumbien und Chile, die ihrerseits mit noch weniger Stimmen als Maduro gewählt wurden. Die Offensive des Imperialismus gegen Venezuela hat also nicht nachgelassen, im Gegenteil: sie wird gewaltsamer. Ihre Agenten wären v.a. bereit, Maduro zu beseitigen, um ihre eigene Politik durchzusetzen.

Wir Arbeiter, die zur Verteidigung Maduros auf die Straße gegangen sind, sagen folgendes: Unter diesem Angriff auf unser Land leiden an erster Stelle wir selbst, die Arbeiter. Die gesamte aktuelle Offensive der Spekulation zielt durch starke Preissteigerungen für Lebensmittel und Medikamente v.a. auf die Löhne.

Was fordern wir, die Arbeiter, von Präsident Nicolas Maduro? Zunächst hat er bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung – für die ich kandidiert habe und auch gewählt wurde –Frieden versprochen und die Fortsetzung der früheren Politik einschließlich im Wirtschaftsbereich. Und das habe ich euch im letzten Dezember gesagt: politisch haben wir gewonnen.

Wir haben den Präsidenten gewählt

Wir haben den Präsidenten gewählt, wir haben die Verfassunggebende Versammlung gewählt, wir stellen die Gouverneure und 350 Bürgermeister. Was brauchen wir also heute? Ein Wirtschaftsprogramm, um weiter existieren zu können, aber wir erleben, dass der Präsident zurzeit seine Versprechen immer noch nicht erfüllt.

Wir haben z.B. mit unserem eigenen Gewerkschaftsbund im letzten September einen Tarifvertrag erstritten, doch was wir gewonnen haben, hat sich seitdem wegen der Preisspekulation in Rauch aufgelöst. Und der Präsident der Verfassunggebenden Nationalversammlung gibt uns zu verstehen, dass die Lage schwierig wird. Wahlen genügen nicht, um Frieden zu erreichen. Aber das wissen wir bereits. Was wir brauchen, sind Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme.

Diskutiert wird die Entwicklung eines Notprogramms für die ersten 100 Tage; danach soll eine Bilanz gezogen und eventuelle Schwachstellen behoben werden. Leider behandelt die Bolivarische Zentrale, der größte Gewerkschaftsbund im Lande, in dem alle unsere Gewerkschaften zusammengefasst sind, diese Fragen auf einer sehr ideologischen Ebene.

Was war der Hebel für die Angriffe der Opposition im Wahlkampf? Der Mangel im öffentlichen Bereich: Strom, Wasser, Kommunikation, Verkehr. Wir stehen tatschlich am Rande des Chaos, weil der Imperialismus unsere Regierung im Rahmen der Verhandlungen über Importe erpresst und Druck auf die Preise der Grundversorgung ausübt: Nahrung, Medikamente, grundlegende mechanische Teile.

Ein Aufstand ist möglich

In dieser Lage machen wir dem Präsidenten folgenden Vorschlag: Es gibt einen Weg, damit wir, die Arbeiter, die Produktion in eigene Hände nehmen können. Denn bestimmte Unternehmer im Lande nutzen die Ölgewinne, erzielen ihre Dollarsummen und horten sie, ohne in irgendeiner Weise zu den Investitionen für die nationale Produktion beizutragen.

Die Sorgen aller Arbeiter des Landes sind aber, dass es, wenn nicht sofort etwas getan wird um das Ruder rumzureißen, sehr schwer wird. Und die Untätigkeit kann zum Bumerang für den Präsidenten werden. Die Situation ist für die Arbeiterklasse so schwierig, dass jederzeit ein Aufstand ausbrechen kann. Es ist klar, dass wir unsererseits Maduros Position verteidigen, denn wenn wir das nicht tun, gibt es einen Rückschlag. Außer wenn aus unseren Reihen eine Kraft entsteht, die das Erbe der Chavez-Politik bewahren kann.

Das Hindernis überwinden

Es gibt also keine Ausrede mehr: die politische Macht wurde gewonnen, man muss mit der Umsetzung des Wirtschaftsprogramms anfangen. Falls die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Arbeiterklasse und der politischen Macht andauern, würde der Imperialismus daraus seinen Vorteil ziehen. Wir haben in aller Stärke Widerstand geleistet. Aber heute gibt es diesen Widerstand nicht mehr. Die Aufgabe heute ist, dass dieses Hindernis überwunden werden muss. Wir müssen zur Etappe der Produktion übergehen, und dafür muss der Präsident den Arbeitern vertrauen. Er kann die Partei PSV nicht unter Kontrolle halten. Denn letztlich ist die PSV – die Mehrheitspartei – nicht die Arbeiterpartei, auch wenn viele Parteimitglieder eine Kontinuität mit Chavez vorgeben: Es gibt auch Unternehmer in der PSV.

Wir unsererseits verfügen immer noch nicht über einen legitimen Gewerkschaftsverband. Er muss noch beweisen, dass er demokratisch ist, denn bekanntlich wird die Bolivarische Verband vom Arbeitsminister beaufsichtigt. Dabei ist dieses Ministerium mit seinem rein bürokratischen Geist unfähig und dient nicht der Lösung der Probleme, mit denen die Arbeitnehmer zu kämpfen haben. Wir haben das Gesetz über das Arbeitsrecht (LOTTT), das z.B. ein Eingreifen des Ministeriums vorschreibt, wenn der Unternehmer bei einer Entlassung gegen die Arbeiterrechte verstößt – doch das Ministerium bleibt untätig.

Die Hoffnung, die wir haben

Wir Arbeiter hoffen nach sechs Jahren der Maduro-Regierung, dass er mit Korruption und Bürokratie aufräumt. Unter solchen Bedingungen bleiben wir an seiner Seite. Wenn der Kampf gegen diese Missstände geführt wird, wenn festgestellt wird, was wirkliche Korruption und Bürokratie ist, dann können wir den Weg weiter gemeinsam gehen. Im letzten Jahr kam es dann auch soweit, dass der ehemalige Ölminister ins Gefängnis wanderte. Wenn der einfache Arbeiter, die Arbeiterklasse Venezuelas, die Präsident Maduro ihr Vertrauensvotum gegeben haben, nicht feststellen können, dass wirtschaftliche Lösungen angepackt werden, dann kann man nichts mehr ausrichten gegen den Bumerang, der Maduro treffen wird.