Hunderttausende sagen: „Wir können nicht mehr! Wir wollen nicht mehr! – Es muss sich ändern“ Sie wollen leben, sie haben recht!

Wir drucken im Folgenden Auszüge aus Berichten von Korrespondenten und aus Reportagen über die Bewegung der „Gelbwesten“ ab, die »Informations ouvrières“,  Wochenzeitung der französischen Unabhängigen Arbeiterpartei POI, veröffentlicht hat.

Seit mehreren Wochen wird das Land von einer elementaren Welle erfasst. Sie begann mit der Ablehnung der Steuererhöhung für Kraftstoffe und erhebt lebenswichtige demokratische und soziale Forderungen. Zu Abertausenden sagen die Arbeiter, Jugendlichen, Rentner: „Schluss mit den Nullrunden für Löhne und Renten, Schluss mit der ständig sinkenden Kaufkraft. Schluss mit den Folgen der Politik, die seit Jahrzehnten von allen Regierungen betrieben wird und Arbeitsplätze vernichtet und den öffentlichen Dienst abbaut…“

Zu Abertausenden fordern sie Macrons Rücktritt, gegen den sich die ganze Wut richtet. (…) Oft ist die Verteidigung bestimmter Arbeitererrungenschaften damit verbunden: „Das Rentensystem muss solidarisch und damit vergesellschaftet bleiben.“ Alle sagen: „Wir haben die Schnauze voll von dieser Regierung und ihrer Politik.“ (…)

Saint-Nazaire (Loire-Atlantique)

Einige der im „Volkshaus“ zusammengetragenen Forderungen

Die Gelbwesten haben auf ihrer Versammlung im sogenannten „Volkshaus“, einem ehemaligen Büro von Assedic, ihren Forderungskatalog aufgestellt.

„Rücktritt von Macron; Preissenkung für Produkte der Grundversorgung (Kraftstoffe, Wasser, Gas, Strom, Wohnungen usw.): (..) Erhöhung der Löhne, Renten und anderer Mindesteinkommen, ohne Kürzung der Sozialabgaben; Wiedereinführung der Reichensteuer und Kampf gegen Steuerflucht, um den öffentlichen Dienst und die Energiewende zu finanzieren; gleiche Verteilung der Reichtümer; (…) Verstaatlichung der Energiewirtschaft, der Banken und Autobahnen; das Recht auf Absetzung aller Mandatsträger auf allen Ebenen; (…) die tatsächliche Verwirklichung unserer Devise: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“

Weitere Forderungen haben die Gelbwesten in einem Brief an die Abgeordneten Frankreichs formuliert, darunter, dass alle ausländischen Arbeitnehmer dieselben Rechte und Löhne bekommen wie Einheimische; Höchstgrenzen für Mieten; Verbot des Verkaufs von öffentlichem Eigentum (Flughäfen, Staudämme etc)¸ Renteneintrittsalter mit 60 Jahren, und 55 Jahre bei schwerer körperlicher Arbeit (s.u.a. Nachdenkenseiten) (…)

In verschiedenen Regionen haben sich die „Gelbwesten“ mit den Gewerkschaftsorganisationen vereint.

In Amiens erklärten Demonstranten der „Gelbwesten“:

„Es gab einen Fehler in der Art und Weise, wie wir anfangs die Bewegung aufgebaut haben, als es hieß, keine Parteien und Gewerkschaften. Nun, die Mandatsträger und Parteien wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Doch mit den Gewerkschaften ist es nicht das gleiche, sie stehen auf unserer Seite.“ Ein anderer meinte: „Wir erkennen sehr wohl, dass wir ohne die Gewerkschaften nicht weit kommen. Mehrere von uns diskutieren darüber.“ – „Ich bin kein CGT-Mitglied, finde es aber gut, dass wir zusammen demonstriert haben, das war eine erfolgreiche Demo.“ „Die Gewerkschaftsmitglieder sind begeistert.“

 Auf der Demo in Paris erklärt eine pensionierte Beamtin aus La Rochelle, die FO-Mitglied ist: „Wir alle sind ‘Gelbwesten‘, das ist das wütende Volk. (…) Ich habe gesehen, wie die Schüler des Gymnasiums Charlemagne ihre Schule abgeriegelt haben. Alle Parteien und Gewerkschaften, die sich solidarisch fühlen, müssen darüber informieren, jedoch nicht versuchen, das zu vereinnahmen.“

Im Pariser CGT-Block laufen mehrere Mitglieder in Gelbwesten, auf denen sie ihr Gewerkschaftsabzeichen angebracht haben. „Seid ihr Gelbwesten oder von der CGT?“, fragt ein Journalist von France 2 zwei Müllmänner der Stadt Paris.

Ihre klare Antwort: „Wir sind mit den Gelbwesten solidarisch; Macron hat die Reichensteuer abgeschafft; wir sind hier für die Rentner, für die Jugendlichen und uns selbst. Die CGT hat nicht die Aufgabe, die Bewegung der Gelbwesten zu vereinnahmen, sondern an ihrer Seite zu kämpfen, weil es jedermann angeht.“

 Die Jugendlichen wollen eine Zukunft. Sie haben recht!

Eine ungeheure Wut ist im ganzen Land sichtbar geworden. Vor dem Hintergrund gehen seit dem 30. November die Jugendlichen von über 100 Gymnasien auch auf die Straße. Zunächst nach einem Aufruf der Oberschülergewerkschaft UNL, dem sich dann die SGL anschloss. Viele sagen: „Die Gelbwesten, das sind unsere Eltern und Großeltern…“ Sie rufen: „Macron, tritt zurück“, „Nein zum Parcoursup (Neueinführung einer Art Numerus clausus, d.Üb.)“, „Nein zur Abiturreform“…

Die Regierung glaubte, dass ihre Antireformen ein abgeschlossenes Thema seien. Doch die Jugendlichen wollen keine Zukunft der Ausbeutung, die dieses System, diese Regierung ihr bereiten. Sie lehnen die Entqualifizierung ab, die steigenden Einschreibgebühren für die Universität. Sie wollen die Studienfächer ihrer Wahl belegen können. Sie sagen: Macron und seine Reformen wollen wir nicht! Sie haben recht! (…)

Am 3. Dezember erklärte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer: „Viele Leute versuchen die Bresche des Protests der Gelbwesten für alles mögliche zu nutzen.“

Gleichzeitig schickte die Regierung im ganzen Land die CRS (kasernierte Spezialeinheit der Nationalpolizei) gegen die Schüler vor. Die Einzelgewerkschaften und in den Departements machen Fälle von Repression publik und fordern, sie zu stoppen.

Die Mobilisierung der Jugend weitet sich aus – gegen eine Regierungsmacht, die die Polizeieinheit CRS auf sie hetzt

 Bericht aus Paris

Lehrer und Gewerkschafter wehren den Sturm der CRS auf die Schülerdemonstration ab.

Am 7. Dezember waren fast 4.000 Oberschüler in Paris auf der Straße, um von der Stalingrad-Straße bis zum Platz der Republik zu demonstrieren. Lehrer und Gewerkschafter anderer Berufe begleiteten sie nach dem Aufruf ihrer Gewerkschaften als Schutz für die Schüler. Einige von ihnen verteilten das gemeinsame Informationsblatt der regionalen Gewerkschaftsbünde von Île-de-France gegen die Polizeirepression, denen Schüler zum Opfer fielen.

Ich bin selbst Lehrer. Einige Schüler danken für meine Teilnahme, fragen mich, wann die Gewerkschaften zum Streik aufrufen werden und wie ich die Situation einschätze. „Wir wollen Macrons Rücktritt“, sagen viele Schüler. „Diese Gymnasialreform ist nicht irgendwas; selbst die Lehrer sagen uns, dass sie nicht wissen, wie sie den Unterricht gestalten können, denn die neuen Lehrpläne sind dermaßen konfus. Das Ende der Schulfächer bedeutet, uns am Lernen zu hindern“, fasst es eine Schülerin zusammen.

Ordnerkette zum Schutz der Jugendlichen

Als die Demonstration am Platz der Republik ankommt, knien mehr als 300 Schüler nieder mit Händen hinter dem Kopf, womit sie an die in Mantes-la-Jolie verhafteten Schüler erinnern…

Etwas später naht eine Provokation. Sofort organisiert der Ordnungsdienst der teilnehmenden Gewerkschaften (FO, CGT, FSU, Solidaires, CNT) eine Ordnerkette von Erwachsenen, die zum Schutz der Jugendlichen auf die CRS zumarschiert, die sich daraufhin zurückziehen. Die ganze Schülerdemo applaudiert.

Danach beschließen die Schüler, eine Vollversammlung abzuhalten, und marschieren zur nahen Bourse du travail (Gewerkschaftshaus). Als sie dort ankommen, sind die Türen verschlossen. Der Bürgermeister von Paris verweigert der Jugend das Gewerkschaftshaus unter dem Vorwand, er habe eine Anordnung vom Polizeipräsidium erhalten, es zu schließen! Ein Gewerkschafter erklärt den Jugendlichen per Megaphon, dass er den anderen Gewerkschaften einen Antrag an den Bürgermeister von Paris vorschlagen werde, er solle die Gewerkschaften ihr eigenes Haus verwalten lassen, wie sie es wollen. Die Jugendlichen antworten mit Beifall. Dann beschließen sie in aller Ruhe, die Vollversammlung auf den Platz der Republik im Regen zu verlegen.

Weitere Berichte gibt es aus anderen Städten, wie Lyon, Toulouse….

Auch an den Universitäten wächst die Unruhe und Solidarität mit den Schülern gegen den Einsatz der Polizei. „Ihre Forderungen sind unsere!“ bekräftigte z.B. eine Versammlung von 350 Studenten an der Uni Paris-Clignancourt, und rief zur Teilnahme an den verschiedenen Demos bis zum 14. Dezember auf.

Ähnliches berichtet eine Studentin von der Universität Paris-III, in der eine Vollversammlung mit 600 Studenten stattfand, die sich besonders gegen teurere Einschreibgebühren für ausländische Studenten (ihr Anteil beträgt dort 30%) richtete. Unterstützung für die Schüler und am 14. 12. für die Gelbwesten!

Die Journalistengewerkschaften prangern die „illegalen Übergriffe“ der Polizei an

Vier Journalistengewerkschaften haben am 10. Dezember „zahlreiche Verletzte unter den Journalisten vor Ort, Reportern und Fotografen“ beklagt, die über die Demonstrationen der Gelbwesten am Samstag, den 8. Dezember berichteten, und sie verurteilten die „illegalen Übergriffe der Polizei besonders in Paris“.

Die SNJ, SNJ-CGT, CFDT-Journalisten und SGJ-FO forderten in einer gemeinsamen Pressemitteilung „Erklärungen vom Polizeipräsidium, dem Innenminister und der Regierung über die erteilten Befehle, die eine solche Situation geschaffen haben“. „Seit Samstagmorgen 8 Uhr wurde die individuelle Schutzausrüstung vieler Pressefotografen, die klar als solche ausgewiesen waren, beschlagnahmt, teilweise unter der Drohung einer Festnahme“, empören sich diese Gewerkschaften.

Sie nennen vor allem die Fälle zweier Fotografen des »Parisien«, die mit Hartgummikugeln beschossen wurden, und eines Fotografen vom »Journal du dimanche«, der von einem CRS krankenhausreif geschlagen wurde. Es gebe ca. 15 in den letzten Stunden gesammelte Zeugenaussagen von Kollegen, „die in Gefahr gebracht wurden, auf die manchmal gezielt geschossen wurde und die von den Ordnungskräften angegriffen oder belästigt wurden“. „Es ist völlig inakzeptabel in einem demokratischen Land und Rechtsstaat, dass die staatlichen Behörden nicht die Informationsfreiheit garantieren“, beklagen sie.

Korrespondent