Vom Militärgericht Blida wurden die beiden ehemaligen Geheimdienstchefs Mohamed Mediène und Bachir Tartag sowie Saïd Bouteflika, Bruder und Berater des abgesetzten Präsidenten, zu 15 Jahren Haft verurteilt, sowie auf der gleichen Grundlage Louisa Hanoune, Generalsekretärin der Arbeiterpartei, die für ihre Anwälte „eine politische Gefangene“ ist. Nachdem sie über die zahlreichen „Verfahrensverletzungen“ während der gerichtlichen Ermittlungen und des Prozesses berichtet hatten, enthüllten sie die Details der Debatten zwischen ihrer Mandantin und dem Präsidenten des Militärgerichts während der Anhörung am 24. September.
Für das Anwaltskollektiv von Louisa Hanoune hat die Anhörung durch das Militärgericht von Blida während des in der vergangenen Woche in weniger als 48 Stunden durchgeführten Prozesses „keinen Zweifel“ an der „Nichtexistenz“ des „Verschwörungsplans gegen die Autorität des Staates und der Armee“ gelassen, wofür sie zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Es enthüllte Details der zweistündigen Frage – Antwortprozedur vom 24. September.
Auf die Frage nach dem Treffen am 27. März in der Villa Dar El Afia sagte sie, sie habe die Einladung des Beraters des Präsidenten „angenommen“, „weil er ihr versicherte“, dass sein Bruder „die Entscheidung getroffen habe, zurückzutreten“. Sie führte weiter aus: „Am 22. Februar rief ich die Schwester des Präsidenten an und bat sie, ihrem Bruder zu sagen, er solle zurücktreten, bevor es zu spät sei, um so das Schlimmste im Land zu vermeiden. Ich habe eine Textnachricht an seinen Bruder und Berater mit dem gleichen Inhalt geschickt, um den Rücktritt des Präsidenten zu beschleunigen, aber ich habe nicht um ein offizielles Treffen gebeten.
In der Vergangenheit musste ich den Berater des Präsidenten mehrmals um Treffen bitten. Ich sehe kein Problem darin, einen Politiker oder Berater des Präsidenten der Republik zu treffen.“ Der Richter verwies die Angeklagte wieder auf den 27. März und sie antwortete, dass es Said Bouteflika war, der „sie kontaktiert, General Toufik eingeladen und die Dinge organisiert hat. Das Treffen fand gegen 15.30 Uhr statt. Es war nicht geheim. Es fand in einem offiziellen Amtssitz statt“.
Der Richter befragte sie in Bezug auf die Anklage der Verschwörung gegen die Autorität der Armee. „Ich habe keine Beziehung zu militärischen Institutionen. Ich bin Politikerin. Zu keinem Zeitpunkt ging es in meiner Gegenwart darum, die Stabilität der Armee zu untergraben. Das Einzige, was ich selbst bei diesem Treffen erwähnt habe, war die zivile Politik: Zunächst der Rücktritt des Präsidenten, die Auflösung der beiden Parlamentskammern, der Rücktritt der Regierung und die Rückgabe der Stimme an das Volk“, erklärte Frau Hanoune.
Was die anderen bei der Sitzung anwesenden Angeklagten (Said Bouteflika und Mohamed Mediène) betrifft, so „teilten sie mir mit, dass sie Liamine Zéroual vorgeschlagen haben, die Führung für die Übergangszeit zu übernehmen. Ich habe dem widersprochen und gesagt, dass Liamine Zéroual als ehemaliger Präsident der Republik es nicht akzeptieren würde, Premierminister zu sein. Ich war dagegen, weil ich es vorziehe und dafür kämpfe, dass diese Position einem Zivilisten und keinem Militärangehörigen anvertraut wird, so wie es das Volk fordert.“
Der Präsident fragte sie: „Warum haben Sie es akzeptiert, sich an das von der Bevölkerung abgelehnte Regime zu wenden?“ Louisa Hanounes Antwort lautet: „Das Regime ist noch nicht beseitigt. Es geht nicht um Menschen, sondern um die Art der staatlichen Institutionen und die Beziehungen zwischen ihnen. Es geht um den Charakter des Systems, der Gesetze und der Regierungspraxis. Die erste Forderung der Revolution ist die Ablösung der 4Bs (1), aber nur zwei sind gegangen.
Jeden Freitag fordert das Volk die Ablösung der beiden anderen“. Der Präsident: „Warum hat nur der PT an dem Treffen teilgenommen und nicht andere politische Parteien?“ Louisa Hanoune: „Jede Partei hat ihre eigene politische Strategie. Es gibt Parteien, die sich mit Verkündungen und Erklärungen zufrieden geben, aber die Arbeiterpartei ist der Ansicht, dass es Teil des politischen Handelns sein muss, sich an die staatlichen Institutionen zu wenden, um politische Lösungen zu finden.“
„Mein Ziel war es, den Rücktritt des Präsidenten zu beschleunigen.“
„Wenn die Parteien nicht mehr das Recht auf einen Regimewechsel haben, bedeutet das, dass es selbst kein formelles Mehrparteiensystem mehr gibt. Seit den 70er Jahren setze ich mich für die Aufhebung des Einparteienregimes ein und dafür dem Volk wieder eine Stimme zu geben. Ich wurde vom Militärgericht wegen schwerwiegenderer Anschuldigungen inhaftiert als heute. Ich verbrachte sechs Monate im Gefängnis, bevor Präsident Chadli Bendjedid mir eine Amnestie gewährte.
Als Verantwortliche einer politischen Partei habe ich mich zwangsläufig mit ehemaligen Präsidenten, Ministern, Sicherheitsbeamten usw. getroffen. Ich habe meine Meinungen und Lösungsvorschläge geäußert, zumal meine Partei sich gegen die Einmischung ausländischer Kräfte wendet. Mit der Annahme der Einladung von Said Bouteflika wollte ich den Rücktritt des Präsidenten und die Durchsetzung der Forderungen des Volkes beschleunigen.
Ich wollte helfen, einen positiven Ausweg zu finden, um eine Situation wie die derzeitige für mein Land zu vermeiden. Ist dieser Versuch, den ich unternahm, gesetzlich strafbar? Ich war noch nie Teil einer Macht oder Regierung. Mein politischer Kampf und der meiner Partei ist bekannt. Meine politischen Positionen und mein Handeln waren immer auf die Verteidigung der Souveränität der Nation und ihrer Stärkung ausgerichtet. Ich habe mich immer gegen jede Intervention ausländischer Kräfte ausgesprochen.“
Zu der Anklage „Angriff auf die Autorität des Staates mit dem Ziel des Regimewechsels“, der durch Artikel 77 des Strafgesetzbuches bestraft wird, erklärt Louisa Hanoune, dass dieses Thema während des Treffens mit Saïd Bouteflika „nie diskutiert“ wurde.
„Wir waren nicht auf einer akademischen oder politischen Konferenz, um über das beste Präsidentschafts-, Parlaments- oder andere Regime zu diskutieren“, sagte sie und fügte hinzu, dass der Regimewechsel „ein Recht aller Völker ist und in Artikel 7 der algerischen Verfassung verankert ist. Es ist das, was das Volk seit dem 22. Februar fordert. Abdelkader Bensalah erklärt in all seinen Reden, dass die Algerier das Recht haben, das Regime zu ändern und seinen Charakter zu definieren.
Das Volk will die Beseitigung des Präsidialregimes, in dem der Präsident alle Macht innehat. Macht es Sinn, dass ich an eine unfriedliche Operation zum Sturz des Regimes denke, während ich für die Souveränität des Volkes kämpfe? Macht es Sinn, dass ich an dieses Volk appelliere, die Waffen gegen sein Land zu erheben? Für mich war der 22. Februar der glücklichste Tag meines Lebens und die Bestätigung von 43 Jahren meines politischen Kampfes, um dem Volk das Wort zu geben. Wir haben auf der Sitzung nicht über die Art des Systems gesprochen.
„Für mich war der 22. Februar der glücklichste Tag meines Lebens und die Bestätigung von 43 Jahren meines politischen Kampfes“
Mein einziger Vorschlag bezog sich auf den Rücktritt des Präsidenten und auf die Art der zu treffenden politischen Entscheidungen, nämlich der Rücktritt der Regierung, die Auflösung beider Kammern, bevor das Volk durch eine konstituierende Versammlung eine Stimme erhält. Wenn sich die Anwendung des Artikels 77 auf den Einsatz von Gewalt und Waffen zur Beseitigung von Abdelaziz Bouteflika bezöge, wäre das unlogisch, denn er hat beschlossen, zurückzutreten.“
Louisa Hanoune erinnert an den Slogan „Djeich, chaab, khawa khawa“ (Volk und Armee sind Brüder), der während der Freitagsmärsche verwendet wurde, und sagt: „Die ANP (Nationale Volksarmee) schützt das Land und seine Grenzen vor jeder Aggression, woher sie auch kommt. Sie ist nur die Kontinuität der Nationalen Befreiungsarmee.
Dies erlaubt es mir, über den Unterschied zwischen ihr und der ägyptischen Armee zu sprechen, die vom US-Finanzministerium finanziert wird und die gezwungen war, das Camp David-Abkommen zu unterzeichnen. Die algerische Armee wird vom algerischen Finanzministerium durch Importe und Öleinnahmen finanziert, was ihre nationale Souveränität garantiert.
Ich müsste meine Mitstreiter und die Algerier nur dann auffordern, zu den Waffen zu greifen, wenn mein Land von einem fremden Land angegriffen wird.“ Louisa Hanoune weist darauf hin, dass das Regime, gegen das sie kämpft, „die Ursache für das Entstehens der Oligarchie ist, der Harga, der Unsicherheit und all der sozialen Not und der Vetternwirtschaft. Sie stellt eine Bedrohung für die Sicherheit der Nation dar.“
Sie erinnerte an ihre Positionen zu den Ereignissen in der Kabylei, dem Referendum über die Tamazight-Sprache, aber auch zur Ghardaia-Krise (2), bevor sie erklärte: „Meine Teilnahme am Treffen mit Said Bouteflika hatte nur einen Zweck: Verwerfungen im Land durch das Eindringen von Baltaguia (Ausländische Kriminelle) zu vermeiden. In Syrien haben die Demonstrationen friedlich angefangen, bevor die ausländische Intervention begann. Das Gleiche gilt für Libyen, und ich will nicht, dass wir das gleiche Szenario erleben müssen.
Deshalb habe ich alles getan, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Ich habe mich mit dem Berater des amtierenden Präsidenten getroffen. Wenn er keine Legitimität hat, wie es in der Anklageschrift steht, dann sind alle Ernennungen seit 1999 unrechtmäßig. Mein einziges Anliegen war es, meinem Land zu helfen, unbeschadet aus der Krise hervorzugehen. Ist das ein Verbrechen? Wenn Sie ja antworten, ist dieses ein politischer Prozess.“
Louisa Hanoune erklärt, dass sie sich mehrmals mit dem Präsidenten der Republik getroffen hat, mit dem sie über wirtschaftliche Fragen gesprochen hat, wie über Fragen der Freiheit und Rechte. „Während des gesamten Jahres 2018 bestand ich darauf, zu bekräftigen, dass es keinerlei Absichten für eine fünfte Amtszeit geben dürfe, und die Antwort auf diese Frage war kategorisch.
„Mein Platz ist auf der Straße bei der Revolution“
Aber als sich die Position änderte und Anzeichen für seine Kandidatur auftauchten, brach ich alle meine Beziehungen zu ihm ab. Ich habe sogar den Präsidenten des Verfassungsrates nach der Ankündigung dieser Kandidatur gebeten, das Gesetz zur Erklärung der Amtsunfähigkeit anzuwenden. Die Demonstrationen vom 22. Februar haben über diese Frage entschieden.“
Als die Gerichtspräsidentin Louisa Hanoune um ihr letztes Wort bat, verurteilte sie zunächst die Äußerungen des Vertreters der Staatsanwaltschaft, die ihre Person und ihren Ruf „als Frau diskreditierten“ und betonte in Bezug auf die Anschuldigungen, dass sie nicht auf Beweisen beruhten.
„Mein Platz ist auf der Straße bei der Revolution. Ich bin unschuldig. Es gibt keine handfesten Beweise für die Existenz einer Verschwörung gegen die militärischen Institutionen. Im Gegenteil, die Frage betrifft legitime politische Aktivitäten. Daher wird Ihr Urteil entscheidend sein.“
Die Angeklagte wurde als letzte, bevor der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren gegen sie und die anderen sechs Angeklagten beantragte, von denen drei in Abwesenheit angeklagt waren.
Nach zweieinhalb Stunden Beratung verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren gegen die vier Angeklagten in Haft und weitere 20 Jahre in Abwesenheit gegen die drei anderen im Ausland, nämlich Khaled Nezzar, ehemaliger Verteidigungsminister, seinen Sohn Lotfi und Farid Benhamdine, Präsident der SAP (Société algérienne de pharmacie). Das Anwaltskollektiv der PT-Generalsekretärin legte gegen das Urteil noch am selben Tag Berufung ein. Die Anhörung sollte innerhalb von 30 bis 45 Tagen stattfinden.
(elwatan.com – 2. Oktober 2019)
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Anmerkungen der Red.
(1) 4Bs – bezieht sich auf die Anfangsbuchstaben der Nachnamen von Abdelaziz Bouteflika, (Ex Präsident), Mouad Bouchareb (Ex- Parlamentspräsident) noch im Amt sind Abdelkader Bensalah (aktueller Übergangspräsident) und Noureddine Bedoui (Ministerpräsident)
(2) 2015 kamen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tamazight (Berbersprache) und arabisch Sprechenden in der Provinz Ghardaia mehr als 20 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Der Streit eskalierte aufgrund politischer, ökonomischer und sozialer Ursachen.
Seit ihrer Gründung hat sich die PT für die Anerkennung des Tamazight als nationale und offizielle Sprache eingesetzt, gleichberechtigt neben Arabisch.