(Beitrag der IAV-Koordination zur bevorstehenden IVK-Konferenz) 020 IAV Briefe
Engagierte Kolleg*innen aus 70 Ländern von 5 Kontinenten werden sich in Paris vom 28.-30. November 2019 im Rahmen des Internationalen Verbindungskomitees (IVK) versammeln. Es wurde im Dezember 2017 auf der 9. Offenen Weltkonferenz in Algier gegründet, die unter der Leitung von Louisa Hanoune und auf Initiative der Internationalen Verbindung der ArbeitnehmerInnen und Völker (IAV) stattfand.
Die revolutionäre Welle, die ausgehend von Algier in Santiago und Beirut, in Hongkong und Bagdad, Port au Prince und Barcelona … ausgebrochen ist, hat uns nicht überrascht. Fast überall stand die gleiche Forderung im Zentrum, dass das alte verrottete und korrupte Herrschaftssystem von der Macht verjagt werden muss.
Uns hat sie nicht überrascht, wohl aber sämtliche Vertreter der herrschenden Ordnung. Wir haben diese erste Welle heranreifen sehen. Wir haben gesehen, wie sie sich ihren Weg gebahnt hat, Schritt für Schritt, in oft ungewöhnlichen Formen, wobei wir uns in jedem unserer Länder bemüht haben, unseren Platz darin einzunehmen.
Die Botschaft ist klar und ruft allen Unterdrückten über sämtliche Grenzen hinweg und von Kontinent zu Kontinent zu:
„Die Völker können nicht mehr, sie wollen leben!“
„Die Völker wollen ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen!“
„Die Völker wollen die Diener der imperialistischen Interessen von der Macht verjagen, welche die ganze Menschheit in Chaos, Elend und Kriege stürzen.“
„Die Völker wollen ihre Angelegenheiten wieder selbst regeln. Sie wollen ihre Souveränität zurück erobern!“
Das ist die Botschaft des Volkes in Algerien…
Das ist die Botschaft unserer Freunde in Algerien, die seit fast 10 Monaten jede Woche zu Millionen, unter der Losung „Weg mit dem System“ demonstrieren, um die räuberische und korrupte Bande von Oligarchen zu verjagen, die dabei sind, die nationalen Reichtümer (Öl- und Gasvorkommen) an die imperialistischen Monopole zu verschleudern.
Das ist die Botschaft unserer Freunde in Algerien, die dafür kämpfen, dass das Volk die Macht zurückgewinnt, die ihm 1962 entrissen wurde, nachdem der siegreiche revolutionäre Volksaufstand gerade die alte Kolonialmacht Frankreich vertrieben hatte.
In Algerien, wie im Irak oder Libanon, in den Gebieten des Nahen Ostens, die von endlosen Kriegen verwüstet sind, die der Imperialismus und seine Helfer organisieren – überall erheben sich die Völker und trotzen der übelsten Repression. Sie überwinden die ethnischen und religiösen Spaltungen, die von den parasitären Cliquen an der Macht erzeugt und genährt wurden, und sammeln sich um die gleichen in Arabisch gerufenen Losungen, die um die Welt gehen:
„Sie sollen alle abhauen!“ und „Alle… das heißt wirklich alle!“
Und es ist das palästinensische Volk, das unter einer neuen Offensive des Staates Israel, der von den USA unterstützt wird, leidet. Es versucht sich zu verteidigen und auf dem gesamten historischen Territorium Palästinas mobilisieren, trotz der Haltung der offiziellen palästinensischen „Chefs“ und gegen sie.
… des chilenischen Volkes
Das ist die Botschaft der Arbeiterklasse und des Volkes von Chile, auf die sich die Blicke aller Völker Lateinamerikas richten.
Nach dem Aufstand des Volkes in Ecuador haben sich die Arbeiterklasse und das Volk von Chile ihrerseits gegen die brutale Repression und den von der Regierung des Milliardärs Pinera ausgerufenen Ausnahmezustand erhoben. Im Generalstreik sind mehrere Millionen durch Santiagos Straßen marschiert mit dem Ruf „Chile ist erwacht!“. Sie mobilisieren sich mit ihren Gewerkschaften zu lokalen Volksversammlungen und haben ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht: Schluss zu machen mit dem gesamten Erbe der Pinochet-Diktatur, das seit 30 Jahren von allen seinen Nachfolgern (Rechten wie Linken) fortgesetzt worden ist im Dienste der Politik der Strukturanpassung des IWF, Instrument des Finanzkapitals und seiner US-Agenten für die Plünderung.
Ihrem Kampf schließen sich alle Völker des Kontinents an. Der Aufschwung der Solidarität, den sie in Buenos Aires, Lima, Sao Paulo… erkennen, ist umso stärker, weil sie die Gefahr seitens des US-Imperialismus erkennen. Und das gerade in dem Moment, als dieser in Bolivien direkt eingreift, die Regierung stürzt und versucht, ein Klima des Terrors zu schaffen, um die Bewegung des nahenden Aufstandes in ganz Lateinamerika zurück zu drängen.
Doch die Apparate der alten Parteien wollen, indem sie sich betrügerisch als Sprachrohr des Volkes ausgeben, gegen diese Bestrebungen der Völker „Lösungen“ richten, die die Regime mittels „Reformen“ retten sollen.
Auf allen Kontinenten revoltieren die Völker gegen eine Zukunft des Elends und endloser Kriege, die ihnen das System des Imperialismus in der Verfallskrise bereiten wird.
Unter der Drohung eines Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems schrumpft der Handel, die industrielle Produktion geht zurück. Es wurden Pläne für den Abbau von Zig Millionen Arbeitsplätzen angekündigt, während die Rüstungshaushalte buchstäblich explodieren: sie steigen auf 649 Milliarden Dollar jährlich für die USA und 376 Mrd. für die NATO-Mitgliedstaaten… Hunderte Milliarden Dollar werden der Befriedigung der elementaren gesellschaftlichen Bedürfnisse vorenthalten und in Kriege und Zerstörung umgelenkt.
All das geschieht, weil die Gesellschaft entsprechend der Krisenanforderungen des kapitalistischen Systems zu viel Zivilisation, zu viele Mittel zum Lebensunterhalt, zu viel Industrie und Handel besitzt.
Und die Völker zahlen die Rechnung dafür. Zig Millionen „Migranten“ in Asien, Afrika, Lateinamerika, Europa, werden auf die Straßen des Exils getrieben. Sie werden zurückgedrängt, in Lagern eingesperrt, wenn sie nicht unterwegs den Tod finden.
Die imperialistischen militärischen Interventionen (vor allem der USA und Frankreichs), die von den linken wie rechten Regierungen unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus organisiert werden, sind in der Realität Kriege für die Kontrolle und Plünderung von Öl, Gas und Bodenschätzen. Die immer zahlreicheren ausländischen Truppen und ihre Militärbasen tragen zum Chaos bei und führen zu Verbrechen und Massakern gegen die wehrlose Zivilbevölkerung. Sie bringen zum Beispiel die Staaten der Sahelzone, die voll vom Imperialismus abhängig sind, in die Gefahr völligen Zerfalls.
Diese Kriege in Kombination mit der Politik der Strukturanpassungsreformen, die von den gleichen imperialistischen Mächten und deren internationalen Institutionen (IWF, Weltbank) diktiert wird, stoßen alle Staaten, die schon unabhängig geworden waren, schlicht und einfach zurück in eine Situation des „Protektorats“.
Der Kampf der Arbeiter und Völker Afrikas für den Abzug aller ausländischen Truppen, für die Schließung aller Militärbasen und für die Rückeroberung ihrer Souveränität, ihrer Rechte und Forderungen, ist ein Appell an die Arbeiter der imperialistischen Mächte zur bedingungslosen Unterstützung.
Kein Land wird von der heranreifenden Konfrontation von der Regierungsmacht und dem Volk verschont bleiben. (…)
Kein Land entgeht dieser Konfrontation, nicht einmal die USA selbst, wo die 40.000 Arbeiter von General Motors in 34 Fabriken 40 Tage lang mit ihrer Gewerkschaft UAW gestreikt haben und zusammen mit den Massenstreiks der Lehrer in diesem lebendigen Klassenkampf ihre Widerstandskraft bezeugt haben. Währenddessen enthüllt der laufende Wahlkampf den tiefen sich noch ausweitenden Graben zwischen den breiten Arbeitermassen und der Welt der skrupellosen Finanzspekulanten.
Europa, der Kontinent, auf dem die alten imperialistischen Mächte sich aufgebaut und konsolidiert haben, um jahrhundertelang die Welt – ganz besonders Afrika – auszubeuten, wird von Zerfallsprozessen erfasst. Weil es von seinen Märkten durch die Konkurrenz der großen internationalen, v.a. amerikanischen, Monopole vertrieben wurde, drohen die Produktionsgrundlagen der alten europäischen Staaten unterzugehen. Die EU liegt im Todeskampf.
Nach dem Willen der europäischen Staatschefs, der Rechten wie linken, müssten alle Errungenschaften, die die Arbeiterklasse im Klassenkampf gegen das Kapital erobert hat, verschwinden.
Das betrifft alles! Das gesamte Gesundheits- und Bildungswesen… Alle öffentlichen Dienste für die Energieversorgung und den Verkehr müssten an Privatfirmen ausgeliefert werden.
Der Widerstand entfaltet sich auf dem ganzen Kontinent, von Ost bis West und von Nord bis Süd, gegen dieses beispiellose Zerstörungsprogramm, Er löst die politische Krise aus, die sämtliche Regierungen und politischen Institutionen erschüttert, deren Aufgabe in jedem Land darin besteht, die Herrschaft des Kapitals zu garantieren.
Die alten Parteien, die sich jahrzehntelang diesem „politischen System“ der Zusammenarbeit der politischen Institutionen untergeordnet haben, werden heute abgelehnt. Länder wie Großbritannien, Italien, Spanien, Deutschland…, die keine parlamentarische Mehrheit mehr für eine Regierungsbildung finden können, stecken in einer politischen Sackgasse.
Die Revolte der Völker löst überall eine beispiellose Krise aller herrschenden politischen Regime aus.
Alle diese Regime werden eines nach dem anderen von der Krise erfasst, welche Form ihre „politischen Systeme“ auch immer haben…
Doch trotz der tiefen Ablehnung geben die Regime nicht auf. Sie versuchen, die Kontrolle über die Situation durch Entfesselung einer brutalen Repression wieder zu erlangen: Hunderte Demonstranten werden durch Gewehrschüsse getötet, in Irak, Iran, Libanon, Chile, Haiti und Bolivien, ganz zu schweigen von Hunderten weiteren Verhafteten oder Verletzten in Algerien, Spanien, Frankreich, Hongkong… Die Regime als Diener des Finanzkapitals geben nicht auf, und um die von ihnen vertretenen verfaulten und korrupten politischen Institutionen zu retten, versuchen sie mit allen Mitteln die Führungen der Arbeiterorganisationen in den Rahmen der „Kontinuität“ der „politischen Systeme“ einzubinden. Die Parteien, die früher beanspruchten, im Namen der Arbeiter zu sprechen, versuchen, trotz der zunehmenden Ablehnung, die Massen von ihrer Mobilisierung gegen das „politische System“ abzulenken, zu spalten und irre zu leiten, um die Regime zu retten, mit denen sie verbunden sind.
Das schafft eine komplexe Situation für die Arbeiterkämpfer und die Verteidiger der Souveränität der Völker. Gegen die Manöver der Verteidiger der herrschenden Regime wie auch der alten Führungsapparate versucht die Masse der Arbeiter und Aktivisten sich die Mittel zu geben, um „von unten“ die „von oben“ organisierte Blockade zu untergraben und die Organisationen, die sie zu ihrer Verteidigung aufgebaut haben, zurück zu erobern. Dadurch sind nie dagewesene Organisationsformen entstanden, die zeigen, dass die Arbeiter und Aktivisten die Erfahrungen, die sie in der gesamten letzten Periode machen mussten, verarbeitet haben. Das ist der Beweis für den Willen der breiten Massen, die Kontrolle über ihre Bewegungen zu übernehmen.
Nie zuvor hatten wir ein dermaßen großes Bedürfnis nach einem ständigen Meinungsaustausch
Nie zuvor hatten wir in dieser komplexen und widersprüchlichen Lage ein dermaßen großes Bedürfnis nach einem ständigen Meinungsaustausch zwischen kämpferischen Kollegen und Verantwortlichen über die Erfahrungen, die wir in unseren Ländern auf den verschiedenen Kontinenten machen.
Noch nie haben wir diesen Austausch so sehr gebraucht, wie in einer Situation, die durch den Aufstand der Völker gekennzeichnet ist, aber auch durch die verschiedenen Formen der politischen Gegenoffensive des Imperialismus und seiner verschiedenen Helfershelfer.
Nie zuvor waren wir dermaßen auf die Hilfe und aktive Solidarität, die uns das IVK bietet, angewiesen. Das konnten wir an der sehr breiten Kampagne für die Freilassung von Louisa Hanoune ermessen, bei der in über 100 Ländern politische und gewerkschaftliche Organisationen der Arbeiterbewegung Stellung bezogen haben, sowie zahlreiche demokratische Organisationen, Verbände, Persönlichkeiten, Demokraten.
Vielfältige Kräfte streben mit Macht danach, sich zu vereinen. Sie richten sich gegen das gesamte System, gegen alle Zwischenlösungen, die an einem „Kompromiss“ mit dem Imperialismus festhalten wollen. Sie werfen überall die Frage auf, wie in Algerien, Chile, Libanon, Irak, dass man den Kampf konsequent zu Ende führen muss, damit die Arbeiterklasse und die Völker sich vom verfaulten und korrupten System befreien und die ganze Macht in ihre Hände nehmen.
Das erfordert, alle Hindernisse auf diesem Weg zu überwinden. Das IVK soll ein Rahmen für die Annäherung und Verbindung von kämpferischen Kollegen und Verantwortlichen werden, wo jeder und jede politische Strömung ihre unterschiedlichen Positionen vertreten, sich jedoch darauf verständigen, diesen Kampf auf internationaler Ebene gemeinsam zu führen.