USA: „Ein globales Ereignis“

Der Angriff auf das Capitol am 6. Januar führte nicht nur in den USA, sondern auch auf internationaler Ebene zu einer Erschütterung.

Verantwortliche der Demokratischen Partei, aber auch der Republikanischen Partei, ehemalige Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie Vertreter der Arbeitgeberverbände haben unverzüglich auf den Abgrund reagiert, der sich unter ihren Füßen auftat. Eine Mega-Krise! Eine Krise der herrschenden Klasse in den USA.

Die Demokraten sind seit den Vorwahlen tief gespalten, während die Republikanische Partei dabei ist zu implodieren. Das Zwei-Parteien-System, die klassische Form der politischen Herrschaft in den USA, wurde tödlich getroffen.

Der offene Bruch, der mit der Wahl Trumps zu Tage getreten war, zerreißt die Vereinigten Staaten immer mehr. Es sei daran erinnert, dass Trump 2016 gewählt wurde, weil ein Teil der Arbeiter-Wählerschaft – aus den deindustrialisierten Staaten des „Rostgürtels“, die traditional die Demokraten gewählt hatten – Trump wählten, um damit ihre Ablehnung der Eliten Washingtons zum Ausdruck zu bringen, aber auch der Führung der AFL-CIO, die die Fabrikschließungen immer begleitet hatte,. 

Seit 1980 ist ein Drittel der industriellen Arbeitsplätze in den USA verschwunden, allein im Dezember 2020 wurden 140.000 zerstört.

Das Jahr 2020 war gekennzeichnet durch die historische Mobilisierung der Schwarzen, der Latinos, der weißen Jugend mit Unterstützung vieler Gewerkschafter und Gewerkschafts-Sektionen. Diese Mobilisierung wandte sich natürlich gegen den systematischen Rassismus, warf aber gleichzeitig alle Fragen der amerikanischen Gesellschaft auf: Armut, Prekarität, Arbeitslosigkeit, Fehlen einer Sozialversicherung.

Das von der Krise erfasste amerikanische Kapital wurde Opfer der eigenen uneingeschränkten Herrschaft auf Weltebene. Und so konzentriert sich die Krise des globalen imperialistischen Systems auf die Vereinigten Staaten. Die Etablierung des Dollar als Weltwährung, die massive Nutzung der Notenpresse, um immer mehr davon zu produzieren – unabhängig von der Produktion realen Reichtums mittels seiner im Zerfall befindlichen Industrie – unterstreicht den parasitären Charakter des kapitalistischen Systems.

Das Handelsdefizit wächst immer weiter. Um zu überleben hat das amerikanische Kapital keine andere Möglichkeit als die, alle anderen Länder – besonders China und Europa – mit einem brutalen Handelskrieg anzugreifen.

Die Krise in den USA, die die Kommandozentrale des Weltimperialismus trifft, findet ihren Widerhall auf internationaler Ebene und verschärft die Krise aller Regierungen und des ganzen Systems. Sämtliche Regierungen werden von Panik ergriffen, denn es geht um den führenden Imperialismus und damit um die alte Weltordnung in einer Situation, die 2019 von einer weltweiten revolutionären Welle und 2020 durch die aufkeimende Mobilisierung in den USA selbst gekennzeichnet war. Deshalb hoffen sie die Führungen der anderen Regierungen, dass Biden umgänglicher als Trump sein wird. Aber mag die Form vielleicht etwas diplomatischer sein, die Forderungen des von Krisen erschütterten amerikanischen Kapitals werden umso dringlicher. Angesichts der Krise und der Spaltung kündigte Biden an, die Einheit der amerikanischen Nation wiederherstellen zu wollen. Obwohl er nunmehr die Mehrheit im Senat wie im Abgeordnetenhaus hat, hat er den Republikanern die Hand angeboten. Und viele von ihnen haben darauf positiv geantwortet, weil die einen wie die anderen – trotz aller Gegensätze – die in einer Krise befindlichen amerikanischen Institutionen verteidigen wollen.

Ein Anzeichen dafür: Die Finanzierung der Militärausgaben für 2021 wurde von Demokraten und Republikanern gemeinsam verabschiedet; und als Trump sein Veto einlegte, hat der Kongress (also beide Kammern zusammen) das Veto überstimmt und das Gesetz in Kraft gesetzt.

Viele Kommentatoren betonen, dass die Rettung der Republikanischen Partei ein Muss sei, um das Zwei-Parteien-System zu retten. Biden wird ein Aufbauprogramm mit mehreren Tausend Milliarden Dollar verkünden. Dafür wird er sich um die Unterstützung der Republikaner bemühen. Aber innerhalb der Demokratischen Partei lehnt die Linke – die beim Wahlsieg Bidens eine wesentliche Rolle gespielt hat – diese Strategie der Zusammenarbeit mit den Republikanern ab. Die Krise wird sich also auf allen Ebenen weiterentwickeln.

In einer Situation, die von Arbeitslosigkeit und Verarmung geprägt ist, sind die Jugendlichen, die Schwarzen mit der brutalen Realität konfrontiert. Biden hatte schon im Laufe seiner Kampagne erklärt, dass er nicht für eine Sozialversicherung für alle sei, sondern für eine Anpassung von Obamacare – also für die Beibehaltung der Position der privaten Versicherungen im Gesundheitssystem. Sehr viele Verantwortliche und Gewerkschafter sprechen sich dagegen für eine Sozialversicherung für alle aus – allerdings nicht die Führung der AFL-CIO.

Die Schwarzen, die weißen Jugendlichen, die Gewerkschafter und Latinos, die gemeinsam mit Black Lives Matter demonstriert haben, fordern für den Kampf gegen den systematischen Rassismus eine Polizei-Reform. Biden hat bereits erklärt, dass er eine solche nicht befürworte.

Und für alle geht es darum, dass die Lawine der Restrukturierungen, der Schließungen, der Arbeitsplatzvernichtung, der Arbeitslosigkeit und Prekarisierung die Verarmung der Bevölkerung noch weiter verschlimmern wird.

Hier liegt die Bedeutung der Allianz der Schwarzen, Latinos, jungen Weißen und zahlreichen Gewerkschaftern bei den Mobilisierungen. Eine Allianz, die einen Vorgeschmack auf die Kämpfe von morgen gibt.

Lucien Gauthier