Großbritannien: Nach den Parlamentswahlen vom 8. Juni: Die Labour Party gibt dem Widerstand eine Stimme, die die Regierung der Konservativen erschüttert

Eine Erklärung von »Labour News«Labour news

Mit den Parlamentswahlen hat eine Etappe der großen Krise der britischen Regierung und aller europäischen Regierungen begonnen hat. Das Wahlergebnis, bei dem die Konservative Partei (Torys) die absolute Mehrheit im Unterhaus verloren und die Labour Party 31 Sitze hinzugewonnen hat, ist eine demütigende Niederlage für Theresa May, die diese vorgezogenen Wahlen angesetzt hatte, um ihre Mehrheit zu konsolidieren. May glaubte sich auf die Abstimmung zugunsten des Brexit und auf die internen Spaltungen der Labour Party stützen zu können, um eine solide konservative Mehrheit im Parlament durchzusetzen und so die Oppositionellen in der eigenen Partei zu zähmen. Die Torys brauchten eine gestärkte Mehrheit, um weiterhin ihre Politik der Haushaltskürzungen und Zerstörung der Rechte der arbeitenden Bevölkerung zu diktieren und die Bedingungen für den Brexit verhandeln zu können. Dafür hatte May die Unterstützung der führenden europäischen Politiker und EU-Verantwortlichen erhalten, die ebenfalls die Notwendigkeit einer starken britischen Regierung sahen, um die Europäischen Union vor dem Zusammenbruch zu retten.

Ein Wille zum Bruch mit Jahrzehnten der Sparpolitik

Mit der Abgabe von 40% der Stimmen für die Kandidaten der Labour Party unter ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn haben die Arbeiter, die Jugendlichen und Arbeitslosen klar ihren Willen gezeigt, Schluss mit Jahrzehnten der Sparpolitik zu machen, die von den Torys und vorher von Tony Blair und Gordon Brown als Vertreter der Labour-Rechten (New Labour/Progress) diktiert wurde. Noch vor kaum einem Monat sahen die Umfragen einen haushohen Sieg der Torys voraus. Innerhalb weniger Wochen sind Zigtausende und sogar Hunderttausende engagierte Kollegen, Mitglieder und Sympathisanten der Labour Party, von Momentum und von Gewerkschaftern in den Wahlkampf eingetreten und haben das Wahlergebnis gekippt. Dafür konnten sie sich auf das Labour-Wahlmanifest stützen, das mit allen früheren bricht: Es ist für die Wiederverstaatlichung der Eisenbahn, die Aufstockung des Mindestlohns, die Abschaffung der „0 Stunden“-Arbeitsverträge, die Streichung der Studiengebühren, für massive Investitionen in das Gesundheitswesen NHS, für den Bruch mit den gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, die Thatcher eingeführt hatte und die von allen Folgeregierungen verschärft wurden.

Es ist kein Zufall, dass die Wahlbeteiligung mit 68,7% eine Rekordhöhe seit 1997 erreicht hat, 2,6% mehr als 2015. Bis zum letzten Tag der Einschreibungen in die Wählerlisten gab es 600.000 Neuwähler, davon 2/3 unter 34-Jährige. Labour hat ihre meisten Sitze in Wahlkreisen gewonnen, in denen die Wahlbeteiligung um mindestens 5% gegenüber 2015 gestiegen ist. Das ist eine bittere Niederlage für diejenigen in der Partei, die ihre Angriffe auf Jeremy Corbyn fortgesetzt haben und ihn für einen zukünftigen Zusammenbruch der Partei verantwortlich machen wollten. Das ist eine Ohrfeige für diejenigen Parteirechten, die die Sparpolitik der Torys unterstützt und mit umgesetzt haben.

In England gewinnt Labour 10% hinzu, 12% in Wales. In Schottland, wo die Partei 2015 eine beschämende Niederlage erlitten hatte, gewinnen wir 6 Sitze zurück. Doch die Wahlen in Schottland sind vor allem geprägt vom Zusammenbruch der größten Partei, der Schottischen Nationalpartei SNP. Mit 13% Stimmenverlusten verliert die SNP 21 von den bisherigen 56 Sitzen. Der Zusammenbruch der SNP nutzte hauptsächlich den Torys (die ihren eigenen Zusammenbruch auf nationaler Ebene damit abfederten, dass sie 12 Sitze in Schottland gewonnen haben). Die schottischen Wähler haben den Vorschlag für ein neues Referendum über Schottlands Unabhängigkeit abgelehnt, sowie die Politik der völligen Unterwerfung unter die EU-Institutionen und die in Schottland von der SNP umgesetzte Sparpolitik.

Diese Wahlen, einschließlich in Schottland, haben gezeigt, dass unsere Partei, die Labour Party, wieder zum Instrument werden kann, das den Widerstand der Arbeiterklasse und der Volksschichten organisiert, um eine sozialistische Politik durchzusetzen.

Eine Minderheitsregierung

Nach diesen Wahlen steht eine Minderheitsregierung an der Spitze des Landes. May hat keine andere Wahl, wenn sie weiter regieren will, als eine Koalition mit den schlimmsten Reaktionären der irischen DUP (Demokratische Unionistenpartei) zu bilden. Diese Partei, die gegen das Recht auf Abtreibung und die Frauenrechte ist und gegen die Heirat gleichgeschlechtlicher Paare, dient nur einem Ziel: mit allen Mitteln die Vereinigung Irlands zu verhindern und die britische Kontrolle über einen Teil Irlands zu verteidigen.

Es werden bereits Stimmen in der Konservativen Partei gegen eine solche Koalition laut oder um Theresa Mays Rücktritt zu fordern (der ehemalige Schatzkanzler von Cameron, George Osborne, spricht von ihr als einer wandelnden Toten). Wir sind in eine unwiderrufliche Krise eingetreten, in der kurz- oder mittelfristig keine Stabilisierung möglich ist. Wenn sie an der Macht bleibt, was im Moment nicht garantiert ist, muss diese Regierung ihre Beschlüsse dem Land mit Gewalt diktieren. Doch es sind nicht nur die britischen Institutionen, sondern heute liegt das gesamte Gebäude der EU-Institutionen, das erneut erschüttert wurde, in Trümmern,

Guy Verhofstadt, der Brexit-Verhandlungsführer des Europaparlaments hat erklärt: „Noch ein weiteres Eigentor, nach Cameron jetzt May, macht bereits komplexe Verhandlungen noch komplizierter“.

Die Krise, welche die EU erschüttert, betrifft nicht diese oder jene bürgerliche Regierungsform. Sie ist die Krise sämtlicher Regierungsformen der Bourgeoisie. Das beweist die Salve, die vier der wichtigsten EU-Staaten erschüttert hat:

– Im Juni 2016 verschmolzen im Sieg des Brexit ein Nein des Volkes zur EU-Politik mit dem Nein eines Teils der Führungskreise des britischen Imperialismus. Letzterer zeigte damit seine Absicht, sich von der EU mit ihrer ständig schrumpfenden Wirtschaft abzuwenden, um die Aktivität der City neu zur Wall Street, nach Asien und Afrika auszurichten, um ihren Rang als führender internationaler Finanzplatz zu retten. Cameron wurde rauskatapultiert, und über die Brexit-Bedingungen herrscht größte Unsicherheit.

Krise der Europäischen Union

  • Am 4. Dezember 2016 erlitt der italienische Regierungschef Matteo Renzi eine vernichtende Niederlage in einem von ihm selbst angesetzten Referendum über die Verfassungsreform.
  • In Frankreich verzichtete Präsident Francois Hollande auf eine erneute Kandidatur. Der vorige Präsident Nicolas Sarkozy wurde in den Vorwahlen der Rechten ausgeschaltet. Der scheidende Ministerpräsident Manuel Valls schied bei den Vorwahlen der Linken aus. Schließlich wurden im 2. Wahlgang die Kandidaten der zwei größten Parteien, die das politische Leben in Frankreich seit 70 Jahren beherrschen, rausgekegelt. 7 Millionen Stimmen wurden für Jean-Luc Mélenchon abgegeben als dem Kandidaten, der den politischen Bruch verkörpert und die Verlängerung von fünf Monaten Mobilisierung und Streik gegen die Arbeitsrechtsreform der Ministerin El Khomri. Im 2. Wahlgang zwischen Macron und der rechtsextremen FN-Kandidatin Marine Le Pen haben es 16 Millionen Wähler vorgezogen, leere oder ungültige Wahlzettel abzugeben oder nicht zu wählen. Einen Monat später haben sich mehr als 50% nicht an den Parlamentswahlen beteiligt, ein für Frankreich nie erreichter Rekord.
  • In Deutschland hat die SPD nach dem Rücktritt des Vizekanzlers Gabriel als Parteivorsitzender drei schwere Wahlniederlagen in den Ländern erlebt, auch in der SPD-Bastion Nordrhein-Westfalen. Damit wird die Möglichkeit einer erneuten Großen Koalition von SPD und der Merkel-CDU als der einzigen Alternative für eine stabile Regierung nach den Bundestagswahlen im September infrage gestellt.

Trotz einer tiefen Krise aller Regierungen und trotz der Widerstandsbewegung, die sich in der Labour Party unter dem Vorsitzenden Jeremy Corbyn organisiert, wie im letzten Jahr mit den Streiks (Streiks der Eisenbahner, der Assistenzärzte, der Fluglotsen usw.), gehen die schlimmsten Angriffe immer weiter. Diese Probleme gehören zu den zentralen Fragen, welche die Arbeitnehmer und politisch und gewerkschaftlich engagierten Kollegen im ganzen übrigen Europa beschäftigen.

Wir unterstützen den Aufruf der Internationalen Verbindung der ArbeitnehmerInnen und Völker für die Weltkonferenz in Algier

Wir unterstützen daher den Aufruf der Internationalen Verbindung der ArbeitnehmerInnen und Völker (IAV), im Oktober 2017 am 100. Jahrestag der russischen Revolution von 1917 eine Offene Weltkonferenz in Algier zu organisieren.

Wie es in dem Aufruf heißt:

„Welche ersten Lehren können wir aus den Kämpfen der Arbeiterklasse, der Jugend und der unterdrückten Völker ziehen, die sich in dieser neuen Periode engagieren?

Welche Lehren kann man aus der politischen Positionierung der verschiedenen Kräfte und Strömungen ziehen, die sich auf die anti-imperialistische und Arbeiterbewegung berufen? Welche Lehren kann man in jedem unserer Länder aus den jeweils beschlossenen Methoden ziehen, die gewählt wurden, um die gegebenen Hindernisse zu überwinden und um die ersten ernsthaften Schritte für die Massenmobilisierung der Arbeiterklasse auf dem ihr eigenen Boden des Klassenkampfes zu erlauben? Wie können wir uns gegenseitig in diesem Kampf unterstützen?

Wir übernehmen die Verantwortung, euch zur Teilnahme an der Offenen Weltkonferenz auf Initiative der IAV einzuladen, um darüber zu diskutieren und um auf diesen gemeinsamen Grundlagen Lösungen zu finden.“

GROSSBRITANNIEN | Nach dem Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands

„Großbritannien wird nie mehr so sein wie zuvor“ (The Observer, 13. September)

Das Referendum über „Schottlands Unabhängigkeit“ hat am 18. September stattgefunden. Die Wahlbeteiligung erreichte die historische Rekordmarke von 84%. 44,7% der schottischen Wähler stimmten mit Ja, 55,3% mit Nein.

Im Allgemeinen haben die Kommentatoren nicht das Urteil des »Observer« angezweifelt, das wir in der Überschrift zitiert haben. Tatsache ist, dass in einem Teil Großbritanniens, das seit drei Jahrhunderten mit seiner Geschichte verbunden ist und in dem der Appell an das „nationalistische“ Gefühl reine Nostalgie zu sein schien, fast die Hälfte der Wähler signalisiert hat, dass sie für sich im Rahmen des heutigen britischen Staates keine Zukunft sehen.

Warum? Eine britische Gewerkschafterin sagte dazu: „Es gibt keine nationale Frage in dem Sinne, wie in anderen Ländern, wo es unterdrückte Nationalitäten gibt. Was passiert, ist, dass die Leute sagen: ‘Probieren wir mal das Ja. Nach Thatcher, Blair, Brown und jetzt Cameron, die alle die gleiche Politik betreiben, kann es nicht schlimmer werden.‘ “ Eine andere Gewerkschafterin stellte fest: „Plötzlich sah man in Glasgow die Leute – darunter viele Jugendliche – Schlange stehen, um sich auf den Wählerlisten einzutragen. Sie haben nichts am Hut mit der schottischen nationalistischen Partei, die eine bürgerliche Partei ist. Sie sind Labour-Wähler und oft auch Nichtwähler geworden. Sie werden diesmal mit Ja stimmen, weil sie die Nase voll haben von Haushaltskürzungen, Privatisierungen, Arbeitslosigkeit und der Zerstörung des Gesundheitswesens.“

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